Kann ich den Sederabend im Kreise meiner Familie verbringen? Darf man in Zeiten der Corona-Krise eine Brit Mila oder eine Hochzeit abhalten? Soll man beim Betreten eines Raumes noch die Mesusa küssen? Falls ein Angehöriger an Covid-19 stirbt, welche Voraussetzungen gelten dann bei der Tahara, der Reinigung des Leichnams vor der Bestattung?
Diese und andere Fragen beschäftigen im Moment viele Juden – nicht nur in Deutschland. In Zusammenarbeit mit Rabbinern hat der Zentralrat der Juden in Deutschland jetzt eine Handreichung für die Mitglieder der jüdischen Gemeinden herausgegeben.
Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Die Corona-Krise hat erhebliche Einschränkungen der Religionsausübung zur Folge. Was jetzt noch an Freiheiten vorhanden ist, sollten wir nutzen. Zugleich ist verantwortungsvolles Handeln unabdingbar geworden. Dem Zentralrat war es daher wichtig, unseren Gemeinden und jüdischen Bürgern generell Hinweise zu geben, wie sie sich etwa bei einer Brit Mila oder einer Beerdigung jetzt verhalten sollen.«
PIKUACH NEFESCH In dem achtseitigen Papier werden klare Richtlinien ausgegeben für die Zeit, in der ein normales Gemeindeleben unmöglich ist und die meisten Menschen in den eigenen vier Wänden verweilen müssen.
»Die Corona-Krise hat erhebliche Einschränkungen der Religionsausübung zur Folge. Was jetzt noch an Freiheiten vorhanden ist, sollten wir nutzen«, sagt Zentralratspräsident Josef Schuster.
Gleich zu Beginn wird das zentrale Gebot Pikuach Nefesch hervorgehoben: die vom Judentum postulierte Pflicht, Leben zu retten und sich an die Vorgaben zur Sicherung der Gesundheit zu halten.
Dieses Gebot könne notfalls auch andere Vorschriften der Tora außer Kraft setzen. Sofern staatliche Vorgaben nicht »massiv gegen die Weisungen der Tora« verstießen, müssten sie befolgt werden. »Das heißt nicht, dass keine Kompromisse ausgehandelt werden dürfen«, so das Papier.
TAHARA Ein konkretes Beispiel für diese Maxime sind die Vorkehrungen bei Bestattungen von an Covid-19 verstorbenen Personen. Da das Virus im Leichnam einige Tage lang überleben könne, dürfe der Plastiksack, in dem der Verstorbene eingehüllt sei, nicht entfernt werden.
Eine Tahara sei überhaupt nur möglich, wenn ausgeschlossen werden könne, dass der Verstorbene mit dem Coronavirus infiziert war. Vorübergehend dürfen höchstens vier Personen eine Tahara durchführen. Die Tacharichim (Leichenhemden) müssten notfalls dem Sarg beigelegt werden.
Weil im Judentum Erdbestattungen verpflichtend seien, sollte im Fall der staatlichen Anordnung von Kremierungen Covid-19-Verstorbener der Vorstand der örtlichen jüdischen Gemeinde den Kontakt mit den zuständigen Behörden suchen, »um eine Verbrennung abzuwenden«, heißt es in der Handreichung des Zentralrats.
KADDISCH An Trauerzeremonien dürfen nur die engsten Angehörigen des Toten teilnehmen. Sie müssten zudem im Freien stattfinden. Da momentan aufgrund der staatlich verordneten Restriktionen kein Minjan von zehn männlichen Juden möglich sei, könne auch kein Kaddisch für den Verstorbenen gesagt werden. Dies könne aber später nachgeholt werden.
An Trauerzeremonien dürfen nur die engsten Angehörigen teilnehmen. Ein Kaddisch kann nachgeholt werden.
Möglichst nicht verschoben werden sollte dagegen eine Brit Mila. Die Beschneidung eines neugeborenen jüdischen Knaben sei aber, so die Empfehlung des Zentralrats, »im engsten Familienkreis, vorzugsweise ausschließlich in Anwesenheit der Kindeseltern«, abzuhalten. Ältere Angehörige sollten möglichst nicht direkt dabei sein, sondern besser per Video zugeschaltet werden.
CHUPPA Gleiches gilt für Hochzeiten. »Wenn eine Chuppa in diesen Tagen geplant war, sollte sie am geplanten Termin und möglichst im Freien vorbehaltlich behördlicher Beschränkungen stattfinden«, heißt es. Ein Minjan sei nicht zwingend erforderlich. Die Feier sollte dann zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.