Ein Gebot der Tora schreibt vor, dass die Israeliten dem Ewigen einen Zehnten »vom Ertrag des Landes und den Früchten der Bäume« sowie von den Rindern und Schafen geben sollen (3. Buch Mose 27,30). Diese Zehnt-Abgabe ist eine Art frühe »Kultussteuer« in der Zeit unserer Vorfahren. Der Zehnt ist gedacht als Dank für die Gaben G’ttes und nicht zuletzt als Unterhalt für den Stamm Levi, der keinen Landbesitz hatte und deswegen kein eigenes Einkommen erwirtschaften konnte. Der Stamm Levi versah im Jerusalemer Tempel den rituellen Dienst.
Der Zehnt war eine Abgabe von Naturalien, doch konnte er durch eine Geldspende ersetzt werden. Grundsätzlich musste man diese Mizwa so erfüllen, dass die Abgabe und die Spende nach Jerusalem in den Tempel gebracht werden sollten.
FREMDE In jedem dritten Jahr haben die Tempeldiener, die Leviten, den Zehnten unter die Armen und Bedürftigen verteilt, unter Witwen, Waisen und die Fremden im Lande. Die Priester im Tempel, die Kohanim, haben den »Zehnten vom Zehnten« (hebräisch: Ma’asser min Hama’asser) aus den Händen der Leviten erhalten.
Daran knüpft die Kritik unseres Propheten Maleachi an, dessen Worte wir an diesem Schabbat aus der Haftara lesen. Dieser prophetische Abschnitt ist von unseren Weisen für den sogenannten Schabbat Hagadol vorgesehen, den Schabbat vor dem kommenden Pessachfest.
Maleachi beklagt sich darüber, dass die Kohanim es unterlassen, den sogenannten Folgezehnten in den Tempel zu bringen. Vermutlich haben wir es hier mit Bestechung oder Korruption zu tun. Maleachi rügt nicht nur die Priester, sondern das ganze Volk, in dessen Vertretung die Kohanim ja ihren heiligen Dienst tun. Die Haftara sagt: »Ein Fluch lastet auf euch, weil ihr Mich bestehlt.« Und so gebietet Maleachi dem gesamten Volk: »Bringt alle Zehnten ins Vorratshaus« (3,10).
Nun stellt sich die Frage: Was hat es mit diesem »Vorratshaus« auf sich, wo das ganze Volk seine Zehnt-Abgaben abliefern muss? Haben wir doch eben gelesen, dass der Zehnt den Priestern – also den Kohanim – und den Tempeldienern, den Leviten, sowie den Armen und anderen Bedürftigen überlassen werden soll. Denn beim Zehnten handelt es sich ja nicht um eine Steuer des Staates, mit deren Erhebung und Eintreibung eine Art Finanzamt beauftragt wäre. Vielmehr hat jedermann die Pflicht, einen Kohen, einen Leviten und einen Armen zu bestimmen, dem er seinen Zehnten zukommen lassen will.
Diese direkte und unmittelbare Verteilung ist von großem Wert. Man wählt sich »seinen« Kohen – eine Persönlichkeit, deren Heiligkeit, Gelehrsamkeit und Reinheit auf andere abstrahlt – und kommt auf diese Weise direkt in den Genuss seines spirituellen Einflusses.
Wir lesen weiter im Buch des Propheten Maleachi: »Denn die Lippen des Priesters sollen die Erkenntnis wahren, und Lehre soll man suchen aus seinem Munde, denn ein Bote des Ewigen der Heerscharen ist er« (2,7). Man wählt sich also quasi einen »Schützling« aus, für dessen Schicksal man Verantwortung übernimmt. Es ist doch bekannt: Geben ist seliger als Nehmen.
RÜCKKEHR Vor rund 2500 Jahren, nach der Rückkehr der Israeliten aus dem babylonischen Exil, ist die Verpflichtung zum Zehnten nicht sofort wieder im Volke verwurzelt. Doch jene Generation der Rückkehrer nimmt dieses Gebot auf sich. Dazu wurde angeordnet, den Zehnten und die Sonderabgabe zum Wiederaufbau des Tempels zum Vorratshaus zu bringen und sie nicht mehr direkt einem Kohen oder einem Leviten zu übergeben. Genau so, wie es unser Prophet Maleachi anweist.
Entsprechendes gilt für den sogenannten Armen-Zehnten. Diese Gabe hat jedoch auch Schattenseiten. Kann denn einer den anderen einfach so durchleuchten und ausforschen und herausfinden, ob der Betreffende wirklich Unterstützung braucht oder sich nur als bedürftig ausgibt? Beschämt es den Armen denn nicht, eine Gabe direkt aus der Hand des Spenders anzunehmen?
So gesehen ist das indirekte Geben über eine Wohlfahrtsinstitution »vornehmer«. Die Institution sollte auch besser im Bilde sein über die tatsächliche Lage von Hilfsbedürftigen, und sie kann die Unterstützung gerechter und wirksamer verteilen. Ohne den Empfänger zu beschämen.
EILE Dass wir diese prophetischen Verse von Maleachi am Schabbat vor Pessach lesen, ist kein Zufall. Zweimal innerhalb von sieben Jahren – im vierten und im siebten Jahr – fällt der Termin zur Abgabe des Zehnten in die Zeit von Pessach. Dieser Zeitpunkt mahnt zur Eile.
Traditionsgemäß geben wir jedes Jahr rechtzeitig vor Pessach das sogenannte Weizengeld, die sogenannte Kimcha de Pis’cha. Dies ist eine auch in unserer Zeit gültige Spende speziell für Familien, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken und manchmal nicht einmal die Mittel haben, Wein und Mazzot für Pessach zu kaufen.
Denn auch Bedürftige sollen genügend Mazzot und Wein haben, um das Fest an allen acht Tagen würdig begehen zu können. Dazu kommt, dass man an Pessach zu den feierlichen Sederabenden Gäste zu sich nach Hause einlädt. Wir lesen in der Pessach-Haggada, in der Lektüre des Sederabends: »Wen es hungert, der komme und esse. Wer Not leidet, der komme und feiere mit uns das Pessachfest.«
Deswegen wiederholen wir gerade an diesem Schabbat die mahnenden Worte des Propheten Maleachi. Wir sollen auf eine umsichtige, respektvolle und würdige Übergabe des Zehnten – und Spenden ganz allgemein – achten.
An diesem Schabbat Hagadol bereiten wir uns ernsthaft auf Pessach vor, das Fest der Befreiung unserer Vorfahren aus der Sklaverei Ägyptens. Sich Jahr für Jahr auf die einst erhaltene Freiheit zu besinnen, ist nicht leicht. Der Ewige führte Sein Volk vor rund dreieinhalb Jahrtausenden aus Ägypten hinaus. Die Israeliten hatten dort vier Jahrhunderte lang als Fronarbeiter gedient. Diese g’ttliche Befreiung gilt bis heute als Urerlebnis der Israeliten.
Der Autor ist emeritierter Landesrabbiner von Württemberg.
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Der letzte Schabbat vor dem Pessachfest wird »Schabbat Hagadol«, der erhabene Schabbat, genannt. An diesem Schabbat bereitet man sich auf das bevorstehende Fest der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens vor. In der Toralesung am vergangenen Schabbat sind die fünf Arten von Opfern eingeführt worden. Im Wochenabschnitt Zaw werden sie nun näher erläutert: das Brand-, das Friedens-, das Sünd- und das Schuldopfer sowie verschiedene Arten von Speiseopfern. Dem folgen die Schilderungen, wie das Stiftszelt eröffnet und Aharon mit seinen Söhnen ins Priesteramt eingeführt wird.
3. Buch Mose 6,1 – 8,36