Holt Tische und Stühle rein! Bald ist Lag BaOmer.» Dieser Satz macht durchaus Sinn, wenn man die Atmosphäre in Israel in den Tagen und, ja, sogar Wochen vor Lag BaOmer kennt. Kein Möbelstück, das nicht angekettet oder verschlossen ist, kann sich seiner langfristigen Existenz noch sicher sein, denn es ist die Zeit, da Kinder und Jugendliche durch die Straßen streifen und nach brennbaren Materialien, vorwiegend Holz, Ausschau halten.
Der Anblick von mit Brettern und Leisten gefüllten Einkaufswagen, die von einer Bande fröhlicher Kinder vor sich her über den Asphalt gerollt werden, gehört hierbei zum üblichen Alltagsbild, denn beliebter Teil der Lag-BaOmer-Feierlichkeiten sind größere Lagerfeuer.
UMWELT Leider gehören zu den vielen Feuerstellen auch Schäden an Privatbesitz (oder auch an besagten Einkaufswagen), eine vielfach erhöhte Brandgefahr und ein nicht unbeträchtlicher Umweltschaden dazu. Die Feuerwehr ist landesweit in höchster Bereitschaft und im Großeinsatz, um Schadensbegrenzung zu betreiben.
Vergangenes Jahr erfuhr dieser Brauch pandemiebedingt einen Aussetzer. Feuerwehr und Umwelt durften durchatmen – doch nicht lange. Durch die ausgezeichnete Impfsituation in Israel wird es dieses Jahr zu Lag BaOmer an diesem Donnerstagabend wieder möglich sein, dem so populären Brauch fast in gewohnter Manier zu frönen. Einzig wegen der anstehenden Hitzewelle und der Gefahr von Waldbränden sind Beschränkungen angekündigt, das kennt man aber schon aus der Vergangenheit.
Doch woher kommt der Brauch, Lagerfeuer zu entzünden, wie hängt er mit Lag BaOmer zusammen, und worum drehen sich die Feierlichkeiten dieses Tages?
PERSÖNLICHKEITEN Drei Persönlichkeiten, die in einem direkten Zusammenhang miteinander stehen, sind zu benennen: Rabbi Akiva, Bar Kochba und Rabbi Schimon Bar Jochai. Rabbi Akiva gehört zu den bekanntesten Gelehrten des Talmuds und nimmt in ihrer Mitte eine zentrale Stellung ein. Seine persönliche Geschichte, seine Gelehrtheit und sein charismatisches Wirken in besonders schwierigen Zeiten waren derart herausragend, dass sie ihre Strahlen bis in die heutige Zeit aussenden.
Wegen Waldbrandgefahr sind offene Feuer an Lag BaOmer in weiten Teilen Israels untersagt.
Die Zerstörung des Zweiten Tempels erlebte er als junger Mann, seine Gelehrtenlaufbahn begann er vermutlich jedoch erst danach, im schon hohen Alter von 40 Jahren, und wurde innerhalb von 24 Jahren zum Lehrer und Meister von 24.000 Schülern!
Doch starben sie allesamt innerhalb kurzer Zeit zwischen Pessach und Azeret (anderer Name für Schawuot) an einer Plage, weil sie sich nicht gegenseitig respektierten, so erzählt der Talmud in Jewamot 62b. Dies begründet, warum die Omerzeit zwischen diesen beiden Festen mit verschiedenen Trauerbräuchen belegt wurde.
AZERET Der Sefer HaManhig im 12. Jahrhundert liest die Talmudstelle mit einem zusätzlichen Wort: «pros» Azeret – bis zur Hälfte von Azeret. Gemeint ist eine Monatshälfte, die von den 49 Tagen der
Omerzeit abzuziehen ist, womit das Sterben der Schüler also am 34. Omertag endete. Damit begründet er die Feierlichkeit des 33. Omertages, auf Hebräisch: Lag BaOmer.
Rabbi Josef Karo übernahm diese Begründung, inkludierte jedoch den 33. Tag noch in die Trauerbräuche und hält sie erst vom 34. Tag an für aufgehoben (Schulchan Aruch Orach Chaim 493, 1–3). Der Rema jedoch betrachtet auch den 33. Tag als von Trauerbräuchen befreit.
unabhängigkeit Mit Feuer hatte das bislang wenig zu tun, wohl aber die Querverbindung, die zwischen Rabbi Akiva und Bar Kochba geschaffen wird. Bar Kochba, oder auch Schimon Bar Kosiba, führte einen zunächst erfolgreichen Aufstand gegen die Römer gut 60 Jahre nach der Zerstörung des Zweiten Tempels und erreichte eine jüdische Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in den Jahren 132 bis 135 nach der allgemeinen Zeitrechnung – die letzte vor der Staatsgründung Israels mehr als 1800 Jahre später.
Es wird eine Verbindung zwischen dem Feiertag und dem Bar-Kochba-Aufstand gezogen.
Rabbi Akiva, so führt der Rambam (Hilchot Melachim 11,3 – vermutlich aufgrund einer ihm vorliegenden Handschrift zum Babylonischen Talmud, Sanhedrin 93b) an, sei der Waffenträger Bar Kochbas gewesen, oder auch sein Mentor und großer spiritueller Unterstützer.
Laut eines Briefes des Rav Schrira Gaon starben die Schüler Rabbi Akivas nicht an einer Plage, sondern am «Schmad». Dieser Ausdruck steht im talmudischen Kontext normalerweise für die Unterdrückung durch die Römer. Hieraus folgert Rav Mosche Zvi Neria, dass in den ersten Reihen der Kämpfer Bar Kochbas wohl die Schüler Rabbi Akivas zu finden waren, die also im Kampf gegen die Römer fielen.
In vielen zionistischen Organisationen finden wir vom Beginn des 20. Jahrhunderts an die Querverbindung zwischen Lag BaOmer und dem Bar-Kochba-Aufstand – und damit einhergehend das feierliche Gedenken an den Kampf für die wiedererstandene Unabhängigkeit, begleitet von Pfeil-und-Bogen-Spielen sowie von Lagerfeuern, angelehnt an die Feuer auf den Bergspitzen zu Zeiten Bar Kochbas zur Übermittlung der Botschaft des Aufstands oder der damaligen Fackelzüge als Zeichen des Sieges.
Die wesentlich ältere überlieferte Tradition des Feuerbrauchs zu Lag BaOmer führt jedoch auf einen spezifischen und besonderen Schüler Rabbi Akivas zurück – Rabbi Schimon Bar Jochai. Dem Geiste seines Meisters folgend, kritisierte er die Römer öffentlich im Lehrhaus und sollte dafür mit dem Tod bestraft werden.
HÖHLE Durch Zuflucht in einer Höhle entrann er der Strafe. In ihr versteckte er sich 13 Jahre lang mit seinem Sohn und widmete sich dem Torastudium mit voller Hingabe (Talmud Schabbat 33b–34a). Während dieser Zeit entwickelte er sich zu einem herausragenden Gelehrten und Mystiker, auf dem in der Überlieferung das kabbalistische Grundwerk Sohar basiert.
Zu seinen Ehren war es im 16. Jahrhundert der Brauch des großen Kabbalisten Rabbi Jizchak Luria, der Arisal, an Lag BaOmer das Grab von Rabbi Schimon Bar Jochai in Meron aufzusuchen. Warum ausgerechnet an diesem Tag? Nach manchen Überlieferungen starb Bar Jochai an diesem Tag, bestimmte ihn jedoch selbstbewusst zu einem Freudentag und vertraute seinen Schülern kurz vor seinem Tod große Geheimnisse der Tora an.
Der Kabbalist Jizchak Luria besuchte an Lag BaOmer das Grab von Schimon Bar Jochai.
Nach anderen Meinungen beruht diese Tradition auf einem Irrtum, da doch der Todestag keinen Grund zum Feiern geben würde. Vielmehr sei Rabbi Schimon an diesem Tag durch seinen Lehrer Rabbi Akiva ordiniert worden, oder aber es wird das Überleben einiger weniger Schüler Rabbi Akivas, unter ihnen eben Rabbi Schimon (Talmud, Jewamot 62b), gefeiert.
VERMÄCHTNIS Jedenfalls hinterließ der große Bar Jochai ein tiefes mystisches Vermächtnis – symbolisiert durch Feuer: das g’ttliche Feuer der Tora.
In den letzten Jahrzehnten strömen Hunderttausende zu Lag BaOmer nach Meron, um dort das Feuer zu Rabbi Schimons Ehre zu entzünden – die Straßen im nördlichen Galil sind während dieser Tage überfüllt. Dieses Jahr wird dies unter Auflagen und begrenzt geschehen, doch auch diejenigen, die daran nicht teilnehmen können, werden zu Hause zu seinen Ehren singen: «Bar Jochai … ein wunderbares Licht, ein tanzendes Feuer».
Und vielleicht werden sie nicht nur den tanzenden Flammen zuschauen, sondern sich vor allem am Feuer der Tora wärmen.
Der Autor ist Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.