Talmudisches

Mit Mütze, Schal und Schirm

Warm anziehen: Die Gefahr, sich zu erkälten, liegt in der Verantwortung des Einzelnen. Foto: Getty Images/iStockphoto

»V’Nischmartem me’od le’nafschosei­chem« – »Und hütet euch sehr um eures Lebens willen«. Die Tora sagt uns klar, dass es eine Mizwa ist, auf die Gesundheit zu achten und sich nicht zu schaden (5. Buch Mose 4,15).

Dazu führt der Talmud in Ketubot 30a das Begriffspaar »Zinim upachim« ein, also Kälte und Hitze, das auch sinngemäß als Erkältungskrankheit gedeutet werden kann. Es heißt dort: »Hakol bidej schamajim chutz mizinim upachim«, dass alles von G’tt kommt mit Ausnahme der Erkältung. Es liegt also in der Verantwortung des Menschen, sich davor zu schützen.

FAHRLÄSSIGKEIT Aber was bedeutet der Ausdruck »Zinim upachim«? Auf Deutsch heißt es: »Dornen und Schlingen«. Rabbi Chanina erklärt, dass sich »Zinim upachim« sowohl auf die Hitze als auch auf die Kälte beziehen. Warum? Ein Mensch, der sich den Elementen ungeschützt aussetzt, zum Beispiel dadurch, dass er unpassend gekleidet ist, läuft Gefahr, sich infolge der eigenen Fahrlässigkeit zu erkälten, krank zu werden und möglicherweise auch Fieber zu bekommen.

Rav Avigdor Bonchek schreibt in seinem Buch What’s Bothering Rashi?: »Dornen (Zinim) und Schlingen (Pachim) sind auf dem Weg der Irrenden; wer seine Seele hütet, wird sich von ihnen fernhalten« (so Raschis Interpretation von Mischle 22,5). Das bedeutet, dass es in der Welt Gefahren gibt, besonders für die »Irrenden«, also für diejenigen, die nicht versuchen, sie zu vermeiden – aber der vorsichtige Mensch achtet darauf, nicht von ihnen geschädigt zu werden.

VERANTWORTUNG Diese Gefahren liegen in der Verantwortung des Einzelnen. Er muss sich vor ihnen hüten. Er sollte nicht lässig sein und denken, dass sie ein g’ttliches Dekret sind und dass er nichts dagegen tun kann. Wenn er nicht aufpasst, gibt es keine Garantie, dass G’tt eingreift, um ihn zu retten.

Die Tosafot, frühmittelalterliche Kommentarsammlungen, erklären den Talmudtext in Bava Mezia (107b): »Und G’tt wird jedes Übel von euch nehmen« (5. Buch Mose 7,15). »Von euch« heißt, dass keine Krankheiten über euch kommen werden – die Sache liegt also in euren Händen.

KLEIDUNG Rabbi Moshe Newman von Ohr Somayach erklärt, dass mit »Krankheiten« an dieser Stelle Erkältungskrankheiten gemeint sind. Und auf den ersten Blick scheint es, als ob der Vers sagen will, dass G’tt und nicht der Mensch selbst am Ende dafür verantwortlich ist, ob er sich erkältet oder gesund bleibt. Das würde bedeuten, dass man bei Kälte nicht unbedingt auf passende Kleidung zu achten bräuchte. Doch das Gegenteil ist der Fall! Die Tosafot erklären, dass nicht G’tt entscheidet, ob sich der Mensch erkältet oder nicht. Vielmehr gibt G’tt dem Menschen die Erkenntnis, sich dem Wetter entsprechend anzuziehen, um sich vor der Kälte und ihren Auswirkungen zu schützen.

Rabbi Chanina und Rabbi Nathan sagten: »99 sterben an der Kälte und einer auf G’ttes Geheiß.« Mit anderen Worten: Erkältung ist die Ursache für bis zu 99 Prozent aller Krankheiten.

Aber die Weisen sagen: »99 aus Nachlässigkeit und einer auf G’ttes Geheiß.« Selbst diese Weisen, die anderer Meinung sind als Rabbi Chanina und sein Kollege und in der Erkältung nicht die Ursache der meisten Krankheiten sehen, sind sich darin einig, dass 99 Prozent aller Krankheiten nicht auf unerklärliche Weise durch die Hand G’ttes entstehen. Vielmehr kommt es dazu, weil der Mensch seine Gesundheit nicht schützt und seinen Körper vernachlässigt.

GESUNDHEIT Aus diesen kurzen Ausschnitten ist zu ersehen, dass die Tora unsere Gesundheit sehr ernst nimmt. Jeder Einzelne könnte daraus etwas für sich ableiten.

Bekanntlich sind kleine Veränderungen leichter umzusetzen und beizubehalten – sei es, künftig mehr Obst und Gemüse zu essen oder sich mehr zu bewegen. Auf jeden Fall aber bei kaltem Wetter Mütze und Schal zu tragen.

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus ist am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  24.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Exodus

Alle, die mit uns kamen …

Mit den Israeliten zogen noch andere »Fremde« aus Ägypten. Was wissen wir über sie?

von Sophie Bigot Goldblum  11.04.2025

Zaw

Das Volk der Drei

Warum zwischen Priestern, Leviten und gewöhnlichen Israeliten unterschieden wurde

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  11.04.2025

Stärke

An den Prinzipien festhalten

In der Haggada heißt es, dass Juden in jeder Generation Feinde haben werden. Klingt entmutigend? Soll es nicht!

von Rabbiner Raphael Evers  11.04.2025