Am Freitag feiern wir Purim. Bereits am Donnerstagabend beginnt dieses fröhliche Fest – jedoch unter besonderen Vorzeichen: wieder ein Feiertag unter den Bedingungen der Corona-Pandemie.
Im vergangenen Jahr war Purim für viele das letzte Fest, bei dem sie noch die Gemeinschaft erlebt haben, beim Lesen der Megilla in der Synagoge oder dem gemeinsamen Essen in Festsaal.
pandemie Damals, am 10. März 2020, waren die Nachrichten in Bezug auf die Pandemie schon besorgniserregend. Aber alle dachten, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Masken? Brauchten wir nicht. Einfaches Händewaschen reichte doch aus. Lockdown, Massentest, Impfungen? Daran war noch nicht zu denken.
Es kam anders. Dieses kleine Coronavirus hat die ganze große Welt im Griff. Zahlreiche Opfer haben wir zu beklagen. Täglich beten wir für die Gesundheit von vielen lieben Menschen. Wir befinden uns mitten im Lockdown.
Im vergangenen Jahr war Purim für viele das letzte Fest, bei dem sie noch die Gemeinschaft erlebt haben.
Und Purim 2021, nach dem hebräischen Kalender sind wir im Jahr 5781, wird wohl so wie Pessach oder Schawuot des vergangenen Jahres, wie Rosch Haschana, Jom Kippur, Sukkot oder Chanukka dieses Jahres: Feiertage mit Abstand, viele leere Synagogen, Familien und Freunde nur im Zoom.
esther-rolle Auch wenn es nur im eigenen Haushalt möglich ist: Wir feiern trotzdem! Wir verkleiden uns, essen gemeinsam im Kreis der Familie. Es ist der Feiertag, an dem es eine religiöse Pflicht ist, etwas über den Durst zu trinken, das aber nur, wenn man trotz Alkohol die Corona-Regeln weiter halten wird. Und richtig laut wird es, wenn die Esther-Rolle gelesen wird – diesmal bei manchen vielleicht nur aus der Ferne. Purim ist ein fröhliches Fest, auch in diesem Jahr.
Da sind wir schon bei der Besonderheit dieses Feiertages, auf die der im November verstorbene ehemalige britische Oberrabbiner Jonathan Sacks noch im März des vergangenen Jahres in einem Beitrag im »Spectator« hingewiesen hat: »Es ist das seltsamste aller Feste.«
Schließlich gehe es dabei um die Geschichte eines geplanten Genozids. Hamans Plan war es, alle Juden zu zerstören, zu töten und zu vernichten – Jung und Alt, Frauen und Kinder –, und das an einem einzigen Tag. Es gelang nicht. Dennoch sei es zutiefst seltsam, einen vereitelten Völkermord als Anlass zur Freude zu betrachten.
feste Und so meinte Rabbi Sacks an anderer Stelle, es gehe an Purim nicht um den Ausdruck einer Freude im herkömmlichen Sinn, sondern um eine Art »therapeutische Freude«. Es sei die Freude, die die Angst besiegt. So ließen sich die wichtigsten jüdischen Feste in drei Sätzen zusammenfassen: »Sie haben versucht, uns zu zerstören. Wir überlebten. Lass uns essen!«
Wir machen Adar zum Monat der Freude.
»Freude ist die jüdische Art, Hass zu besiegen. Das, worüber du lachen kannst, kann dich nicht gefangen halten«, schrieb Rabbi Sacks. »Gerade weil die Bedrohung so ernst war, weigere dich, ernst zu sein – und in dieser Ablehnung tust du tatsächlich etwas sehr Ernstes. Du verweigerst deinen Feinden einen Sieg. Du zeigst, dass du dich nicht einschüchtern lässt.«
Das gilt auch für die aktuelle Situation der Pandemie. Wir können und dürfen sie nicht leugnen, wir müssen uns schützen, für die Gesundheit beten, aufeinander achtgeben, die Testangebote nutzen, schließlich auch die Impfung vornehmen lassen – wenn es denn endlich so weit ist.
mischloach manot Aber wir sollten trotzdem feiern. Mit FFP2- statt mit Karnevalsmasken, mit gebührendem Abstand statt mit ausgelassener Nähe. Wir sollten dabei jedoch auf keinen Fall ins »Social Distancing« gehen, sondern lediglich in den physischen Abstand. Den sozialen Kontakt sollten wir unbedingt halten! Auch in diesem Jahr sollten wir der religiösen Pflicht nachkommen, uns gegenseitig die Mischloach Manot, kleine leckere Aufmerksamkeiten, zukommen zu lassen – unter Einhaltung der Abstandsregeln selbstverständlich.
Wir sollten unbedingt an die Bedürftigen denken und für sie spenden.
Und wir sollten unbedingt an die Bedürftigen denken und für sie spenden. Übrigens: Weniger Geschenke an Freunde, dafür mehr an die Armen, das wäre in diesem Jahr sehr passend. Und ansonsten – wie es auch immer geht – fröhlich sein! Mit anderen Worten: Freude ist eben auch die jüdische Art, Angst zu besiegen.
Wir befinden uns im Monat Adar. Dieser war eigentlich nicht der fröhlichste Monat des Jahres. Doch dann kam Haman und entschied per Los, dass gerade diese Zeit passend wäre, die Juden zu vernichten. Anstatt uns nun mit seinen antisemitischen Gedanken zu beschäftigen, wählen wir einen anderen Weg und machen Adar zum Monat der Freude. So sind schon zwei Wochen vor Purim und auch die zwei Wochen danach von diesem Gefühl geprägt. Das tut gut!
zweifel Freude schützt den Menschen vor Zweifeln und Verzweiflung. Sie eröffnet Wege der Kommunikation. Man ist viel lockerer und findet direkte Wege zum Herz anderer Menschen. Freude zeigt innere Stärke und Optimismus. Ich weiß, das ist nicht immer einfach in schweren Zeiten. Doch wenn wir diese Freude zeigen, sind am meisten unsere Feinde überrascht.
Lassen wir uns also auch in diesen Tagen nicht einschüchtern: nicht von schlechten Nachrichten über Antisemitismus oder andere Bedrohungen jüdischen Lebens. Feiern wir ein fröhliches Purim, vermehren wir die Freude im Monat Adar! Und denken wir daran: »Lache in die Welt, und die Welt lacht zurück.«
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).