Mit dem Wochenabschnitt Dewarim beginnt das fünfte und letzte Buch der Tora. Mosche, der große Anführer des jüdischen Volkes, bereitet sein Volk auf das Leben nach der Wüstenwanderung vor. Die Israeliten sollen das Gelobte Land erobern und besiedeln.
Zu diesem Zeitpunkt steht schon G’ttes Entschluss fest, dass Mosche bald sterben wird und die Kinder Israels das Land unter der Führung ihres Nachfolgers Jehoschua bin Nun betreten werden. Deshalb erinnert Mosche das Volk an alle Gebote der Tora, die es von G’tt bekommen hat. So soll das jüdische Leben im Land Israel gesegnet und nachhaltig werden.
HALACHA Zuerst aber erinnert Mosche an die Vergangenheit. Eine der größten Errungenschaften war die Etablierung des jüdischen Rechtssystems, der Halacha.
Mosche erinnert sich unter anderem an seine Ansprache an die Richter, sie mögen sich von Ungerechtigkeit fernhalten: »Und ich gebot euren Richtern in dieser Zeit also: Verhöret eure Brüder und richtet mit Gerechtigkeit zwischen einem Mann und seinem Bruder und seinem Fremdling! Ihr sollt kein Ansehen erkennen im Gericht; wie den Kleinen, so den Großen, sollt ihr hören. Fürchtet euch vor niemandem, denn das Gericht ist G’ttes; und die Sache, die für euch zu schwierig ist, bringt vor mich, dass ich sie höre.«
In diesen Versen gibt es überhaupt nichts, was uns seltsam erscheinen würde. Es sind absolut logische und durchaus nachvollziehbare Befehle.
kommentare Doch es lohnt sich, die Tora immer mit den Kommentaren unserer Weisen zu lesen, so erfährt man von Dingen, die man nie vermuten würde. Raschi (1040–1105) schreibt in seinem Kommentar, dass Mosche ein Fehler unterlaufen sei mit dem Satz: »Und die Sache, die für euch zu schwierig ist, bringt vor mich, dass ich sie höre.« Was ist daran so problematisch? Wen sollen die Richter fragen, wenn sie mit dem Fall nicht klarkommen? Die Weisen des Talmuds erklären, Mosche erwecke mit seiner Aussage den Eindruck, er wisse alles (Traktat Sanhedrin 8a).
G’tt habe sich daran gestört und Mosche gezeigt, dass er nicht alles weiß (4. Buch Mose 27, 1–5): Am Ende der Wüstenwanderung kamen fünf Töchter von Zelafchad zu Mosche mit einer Frage. Ihr Vater war gestorben, und sie hatten keine Brüder, deshalb wollten sie wissen, ob sie als Frauen auch das Recht haben, in Israel ein Stück Land zu bekommen, das ihrem Vater zustünde, wenn er das Gelobte Land betreten hätte. Oder können nur männliche Verwandte ihre Väter beerben?
Mosche gab öffentlich zu, dass er darauf keine Antwort wusste. Er musste G’tt fragen, was die Entscheidung in diesem Fall ist. Dies war die Strafe für Mosches problematische Aussage.
FEHLER Unsere Weisen erzählen weiter, dass es noch einen Fall in der jüdischen Geschichte gab, wo ein großer Mensch einen ähnlichen Fehler gemacht hat und auch von G’tt in eine Situation gestellt wurde, wo er es anerkennen musste.
Im Buch Schmuel I (9, 1–19) wird eine denkwürdige Begebenheit um den Propheten Schmuel erzählt. Der Junge Schaul suchte nach den Eselinnen seines Vaters. Als er hörte, dass sich der Prophet Schmuel in der Nähe aufhält, entschied sich Schaul, ihn um Hilfe zu bitten. Doch als Schaul Schmuel begegnete, erkannte er ihn nicht und fragte ihn, wo der »Seher« sei. Darauf antwortete Schmuel: »Ich bin der Seher.«
Und auch, wenn Schmuel dies ohne Hochmut sagte und einfach die Tatsache verkündete, klang es doch in den Ohren G’ttes nicht gut. Deshalb ließ der Ewige Schmuel erkennen, dass er ohne himmlischen Beistand kein »Seher« ist: Er sandte Schmuel ins Haus von Ischaj, um den nächsten König zu salben. Und da machte Schmuel den Fehler, den ältesten Sohn, den schönen und großen Eliaw, für den Thronanwärter zu halten. Doch es war Ischajs jüngster Sohn, David, zum König bestimmt.
RICHTER Dass Schmuel bestraft wurde, lässt sich nachvollziehen. Doch was war falsch daran, dass Mosche den Richtern gesagt hatte: »Und die Sache, die für euch zu schwierig ist, bringt vor mich, dass ich sie höre«? Er hatte nicht gesagt, dass er entscheiden, sondern einfach nur hören würde. Und wer sonst sollte sich damit befassen, wenn nicht Mosche, der doch alle Gesetze von G’tt direkt bekommen hatte?
Eine Erklärung ist, dass Mosche G’tt in seinen Worten nicht erwähnt. Er hätte »mit G’ttes Hilfe« sagen müssen. Sein Satz hätte lauten können: »Und die Sache, die für euch zu schwierig ist, bringt vor mich, dass ich sie höre und wir mit G’ttes Hilfe eine Lösung finden werden.«
Es ist sehr wichtig zu betonen, dass alles mit G’ttes Hilfe geschieht. Oft denken wir, dass man nur beten muss, wenn es um große Sachen geht: die Heilung von schwerer Krankheit, die Errettung aus einem schwierigen Gerichtsprozess, für eine große Anschaffung oder ernsthafte Probleme mit Kindern.
Tatsache ist jedoch, dass selbst kleinste und einfachste Dinge den Beistand G’ttes brauchen. So kann uns schon bei einer Kleinigkeit wie dem Gang zum Supermarkt, der nur 100 Meter entfernt ist, zum Beispiel ein schwerer Unfall zustoßen. Deshalb sollen wir in unserem täglichen Leben versuchen, G’tt immer einzubeziehen. Ganz gleich, ob wir lernen oder spazieren gehen, arbeiten oder einkaufen – wir sollen immer »BeEsrat Haschem« (Mit G’ttes Hilfe) sagen. Dann wird G’tt uns auch helfen, und Er muss uns nicht an Ihn erinnern.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Dessau und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).
inhalt
Kurz vor der Überquerung des Jordans blickt Mosche auf die Wanderung durch die Wüste zurück. Er erinnert an die schlechten Nachrichten der Spione und sagt, dass Jehoschua an seine Stelle treten wird. Dann erinnert Mosche an die 40-jährige Wanderung und die Befreiung der ersten Generation aus Ägypten. Seiner Meinung nach gehört das, was die Eltern erlebt haben, zum Schicksal ihrer Kinder. Wozu sich die Vorfahren am Sinai verpflichtet haben, ist auch für die Nachkommen bindend. Es wird bestimmt, mit welchen Völkern sich die Israeliten auseinandersetzen dürfen und mit welchen nicht. Mosches Bitte, das Land Israel doch noch betreten zu dürfen, lehnt G’tt ab.
5. Buch Mose 1,1 – 3,22