Mit dem Fastentag des 17. Tamus beginnt eine dreiwöchige Trauerzeit bis zum nächsten Fastentag, Tischa beAw, dem 9. Aw. In diesem Jahr fällt der 17. Tamus auf den 4. Juli; wegen des Schabbats verschiebt sich das Fasten aber auf den 18. Tamus, den 5. Juli. Die drei Wochen werden »Bejn Ha-mezarim« (»zwischen den Bedrängnissen«) genannt.
Die Bezeichnung stammt aus dem Buch Ejcha (Klagelieder) 1,3, das auch an Tischa beAw (am 26. Juli) gelesen wird. Dort, im Buch Ejcha, heißt es: »Jehuda wandert aus vor Druck und schwerer Fronarbeit, es weilte unter den Völkern und fand keine Ruhe, all seine Verfolger erreichten es ›Bejn Hamezarim‹«, was auch häufig als »zwischen ihren Grenzen« übersetzt wurde.
Raschi Der Kommentator Raschi (1040–1105) schreibt dazu, »bejn haMezarim« seien die Grenzen von Feldern und Weingärten, aber nach dem Midrasch Ejcha Rabba (1,29) ist damit genau die Zeit zwischen dem 17. Tamus und dem 9. Aw gemeint: eine Zeit, in der während der gesamten jüdischen Geschichte immer wieder Katastrophen geschahen.
In der Mischna (Taanit 4,6) werden fünf tragische Ereignisse für den 17. Tamus genannt: Die Zerstörung der Tafeln, die Mosche am Berg Sinai erhielt, steht an erster Stelle. Die Mischna nennt aber auch die Einstellung des Tamid-Opfers im Tempel, die Zerstörung der Stadtmauer von Jerusalem durch die Babylonier, die Verbrennung einer Torarolle durch einen Römer namens Apostomus, was dann zum Bar-Kochba-Aufstand führte, und das Aufstellen eines Götzen im Tempel.
Für den 9. Aw nennt die Mischna im gleichen Abschnitt dann weitere fünf katastrophale Ereignisse. Es sei den Kindern Israels am 9. Aw mitgeteilt worden, dass sie das Land nicht betreten durften, nachdem die Kundschafter (4. Buch Mose 13, 27–28) ihren entmutigenden Bericht abgeliefert hatten. Die beiden Tempel seien am 9. Aw zerstört worden, der Bar-Kochba- Aufstand sei an diesem Tag zerschlagen worden, und Jerusalem sei am 9. Aw gefallen. Schon das erste Ereignis legte laut Talmud (Taanit 29a) den Charakter dieses Tages fest: »Rabbi Jochanan sagte, dass dieser Tag der Vorabend des 9. Aw war. Der Heilige sagte: ›Du hast umsonst geweint. Ich werde dieses Datum für euch zu einem Tag des wirklichen Weinens für alle kommenden Generationen einsetzen‹.«
Charedisch Tatsächlich waren die Ereignisse aus der Mischna nicht die einzigen Katastrophen. In diese Zeit fielen auch Pogrome zu Beginn des ersten Kreuzzugs (1095), bei denen Tausende Juden aus Frankreich und dem Rheinland getötet wurden. Es folgte die Vertreibung der Juden aus England (1290), das Ultimatum, bis zu dem alle Juden Spanien zu verlassen hatten (31. August 1492) und zuletzt das Terrorattentat auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires 1994 mit 86 Todesopfern. In der charedischen Welt ist Tischa beAw auch ein Tag des Gedenkens an die Schoa.
Die Mischna schließt ihre Aufzählung mit der Feststellung, dass man mit Beginn des Monats Aw die »Freude vermindert«. Heute gelten die 21 Tage zwischen zwei sehr traurigen Tagen als eine Zeit, in der man nicht ganz so fröhlich ist, wie es vielleicht sonst der Fall ist. Der Kizzur Schulchan Aruch (Paragraf 122) zählt einiges auf, das man in dieser Zeit besser unterlassen sollte – wie etwa Hochzeiten, Musikhören, Ausflüge, Haareschneiden sowie den Konsum von Wein und Fleisch. Während der neun Tage ab Beginn des Monats Aw sollte man noch etwas strikter sein und auf alles verzichten, was Freude bereiten könnte.
Wenn man will, sind die Tage »Bejn Hamezarim« das traurige Gegenstück zu den Tagen von Chol haMoed, die zwischen zwei vollen Feiertagen liegen und noch etwas von deren Heiligkeit in den Alltag hineintragen. In den drei Trauerwochen im Sommer dagegen wird eine trübe Grundstimmung (natürlich mit Ausnahme des Schabbats) in den Alltag integriert.
Tempel Aber Trauer ist nur ein Aspekt dieser Tage. Einen anderen hebt Maimonides (1135 –1204), der Rambam, hervor: Tschuwa oder Buße. In seinen Hilchot Taanit (1) beschreibt er, dass es nicht nur um Trauer und Nachdenken über die Ereignisse geht, die zur Zerstörung des Tempels geführt haben. Sondern alle Generationen seien dafür verantwortlich, umzukehren und einen Zustand zu erlangen, der den Wiederaufbau des Tempels ermöglicht. Ein Blick auf den 9. Aw selbst unterstreicht das.
Während des stimmungsvollen Lesens der Kinnot, bei dem man am Abend und am Morgen auf dem Boden sitzt, konzentrieren sich die Texte auf die Trauer. Zum Minchagebet wird wieder die Haftara, die Prophetenlesung (Jeschajahu 55–56,8) für alle Fastentage gelesen, die zur Umkehr aufruft: »Sucht Haschem, da er sich finden lässt, ruft ihn an, da er nahe ist.«