Man ist geneigt, Jizchak für den passivsten der drei Patriarchen zu halten. Hinweise gibt es genügend: Jizchak lässt sich von seinem Vater binden, obwohl er – rein rechnerisch – schon ein erwachsener Mann ist, er muss sich nicht selbst um seine Frau kümmern, und er geht Konflikten, so gut es geht, aus dem Weg: Kaum sagt Awimelech, der König der Gegend, in der Jizchak zu Wohlstand gekommen ist: »Du bist uns zu mächtig, geh weg von hier«, bricht Jizchak seine Zelte ab. Awraham und Jakow hingegen haben auch einmal Waffen in die Hand genommen und waren damit durchaus erfolgreich.
Eine Begebenheit in unserer Parascha scheint Jizchaks Passivität zu bestätigen. Zunächst wird erzählt, wie er mit seinen Knechten zugeschüttete Brunnen öffnet (1. Buch Mose 26, 22–33) und ihnen ihre alten Namen wiedergibt. Aber nicht nur das. Die Männer graben drei neue Brunnen.
neid Diese Aktivitäten bleiben den anderen Bewohnern des Landes nicht verborgen und erwecken Neid: Kaum haben Jizchak und seine Leute einen Brunnen fertiggestellt (19–20), kommen die Hirten Gerars. Obwohl sie oder ihre Verwandten vorhandene Brunnen zugeschüttet haben, wie der Text der Tora berichtet (26,15), und sie sich nicht für das Wasser interessiert haben, sagen sie nun: »Das ist unser Wasser!« Aber erst, nachdem Jizchak einen neuen Brunnen gegraben hat.
Das war der Brunnen Eschek (übersetzt etwa »Streit«). An einer anderen Stelle wiederholt sich die Situation: Jizchak und seine Leute sind fleißig, graben, finden Wasser – und wieder gibt es Streit. Da zieht Jizchak mit seinen Leuten weiter. Das ist der Brunnen Sitnah (übersetzt etwa »Anklage«). Erst der dritte Brunnen, Rechowot (»Ausdehnung«, »Weite«), bleibt unumstritten, Jizchak und seine Männer behalten ihn. Wir wissen natürlich nicht, ob Awraham oder Jakow die Brunnen einfach so aufgegeben hätten, aber man kann annehmen, dass sie es nicht getan hätten.
Wasser Die Situation ist von frappierender politischer und historischer Aktualität. Die übrigen Bewohner des Landes achten die wichtige Lebensgrundlage Wasser zwar offenbar gering, aber wenn es darum geht, die »anderen« zurückzuweisen, ist ihnen auch dieses Mittel recht: Sie vertreiben diejenigen, die die Brunnen gegraben haben und zerstören die Zeichen ihrer Präsenz im Land. Sie bringen es nicht fertig, anzuerkennen, dass Jizchaks Vorfahren etwas geschaffen haben, von dem sie selbst einen Gewinn haben könnten. Juden haben das wohl zu jeder Zeit erlebt. Ihre Feinde hassen sie mehr, als dass sie an die Sicherung der eigenen Zukunft denken.
Werden Awrahams Nachkommen dennoch aktiv, warten die Bewohner des Landes, bis etwas geschaffen wurde, und nehmen es ihnen dann weg – mit der Begründung, es sei ohnehin ihres. »Das ist unser Wasser!«, sagen sie. Der Vorwurf liegt in der Luft, dass Jizchak und seine Leute sich an fremden Ressourcen bereichern. Es klingt fast so, als sei dies eine Nachricht von heute.
Brunnen Der Text hat noch eine weitere Ebene. Wir sprechen nämlich nicht nur von den Brunnen als Wasserlieferanten. Der Talmud sagt, dass »Wasser« immer auch »Tora« bedeutet (Bawa Kamma 82a). Es geht also tatsächlich nicht nur um wirtschaftliche Ressourcen, sondern auch um die Verbreitung der Lehre. Denn wenn Wasser für Tora steht, dann steht ein Brunnen für ihre Verbreitung.
Jizchak trifft also auf ein Land, in dem die Bewohner sich alle Mühe geben, dass man an die Lehre von Jizchaks Vorfahren nicht anknüpft. Sie wollen die Verbindung zur Tradition der Vorfahren kappen. Mit Awrahams Tod wäre die fixe Idee vom ethischen Monotheismus vielleicht vom Tisch gewesen, aber nun ist Jizchak da und bemüht sich um eine Reaktivierung und Verbreitung dieser Lehre. Dies gilt es, bereits im Keim zu ersticken.
Jizchak ist also derjenige, der die Traditionen und Lehren seiner Familie wiederentdeckt und »öffnet«. Die Traditionen werden erneut aufgenommen, die alten Bezeichnungen der Brunnen wieder verwendet, auch gegen Widerstände und ernsthafte Rückschläge. Klappte es bei der ersten Quelle nicht, dann bei der zweiten. Bei der zweiten auch nicht? Die Männer entdecken eine dritte und später in Beer Sheva gar eine vierte.
Gegner Wir sehen: Jizchak ist gar nicht so passiv, wie man annehmen könnte. Seine Stärke und Aktivität entfalten sich in anderer Hinsicht: weniger nach außen gerichtet als nach innen. Er knüpft mit Beharrlichkeit an eine Tradition an und weitet dieses Engagement weiter aus, auch gegen Widerstände. Mit seinem Erfolg beweist er seinen Gegnern, dass G’tt tatsächlich auf seiner Seite ist. »Deutlich gesehen haben wir, dass der Ewige mit dir war« (26,28), heißt es im Text.
An einem entscheidenden Punkt in der Geschichte ist Jizchak derjenige, der für Kontinuität sorgt. Gerade dann nämlich, als es erforderlich ist, Awrahams Erbe weiterzutragen und die Idee dahinter zu verbreiten, tritt Jizchak auf und garantiert, dass jemand von den »Brunnen« profitiert.
Was nützen Erfolge auf dem Schlachtfeld oder in der Wirtschaft, wenn die Nachfahren nichts aus diesem Erbe machen? Jizchaks Handeln geht letztendlich auf: Awimelech kommt zu ihm und erkennt sein Handeln an. Er ist als Bewahrer derjenige Patriarch, dessen Name sich nicht ändert. Awram wurde zu Awraham, Jakow zu Jisrael. Jizchak aber bleibt Jizchak. Er hat die Namen, die sein Vater den Brunnen gegeben hatte, wieder bekannt gemacht. Er ist der richtige Mann zur richtigen Zeit.
Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.
Inhalt
Der Wochenabschnitt Toldot erzählt von der Geburt der Zwillinge Esaw und Jakow. Für ein »rotes Gericht« erkauft Jakow von seinem Bruder das Erstgeburtsrecht. Wegen einer Hungersnot muss Jizchak das Land verlassen. Er geht zu Awimelech, dem König von Gerar. Dort gibt er seine Frau Riwka als Schwester aus, weil er um sein Leben fürchtet. Als Jizchak im Sterben liegt, will er Esaw segnen, doch er wird von Riwka und Jakow getäuscht und segnet so Jakow. Der muss danach vor seinem Bruder Esaw flüchten und geht nach Haran.
1. Buch Mose 25,19 – 28,9