Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet – so steht es bereits in Artikel 4, Absatz 2 des Grundgesetzes. Darüber hinaus haben die Gerichte längst entschieden, dass die jüdische Praxis der Arbeitsruhe am Schabbat und an bestimmten Feiertagen zu respektieren sei, so Volker Beck. »Ist also alles in Butter?«
Offensichtlich nicht, wie der Geschäftsführer des Tikvah Instituts zu berichten weiß. »Immer wieder stoßen Jüdinnen und Juden auf totale Ignoranz, vor allem, wenn es um Prüfungstermine oder Examina geht.« Pochen sie aber auf ihre Rechte, laufen sie schnell Gefahr, als Querulanten oder Bittsteller dazustehen – keine angenehme Situation für die Betroffenen.
Und damit war man auch schon mittendrin im Thema der Tagung »Gut Schabbes? Chag Sameach! Religionsfreiheit und Respekt für die Arbeitsruhe an Schabbat und jüdischen Feiertagen«, die das Tikvah Institut gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) sowie der überparteilichen Experteninitiative Religionspolitik (EIR) und der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) am Sonntag in Berlin ausgerichtet hat.
Probleme Dabei sind die Probleme alles andere als neu. Seit Jahren bereits berichten jüdische Studierende von Prüfungsterminen, die mit den Hohen Feiertagen kollidieren. Observante Juden stehen dann nicht selten vor der Wahl, entweder das an diesen Tagen geltende Schreibverbot zu verletzen oder aber den Leistungsnachweis an einem anderen, zumeist viel späteren Datum zu erbringen, was stets mit einem Zeitverlust von sechs Monaten oder mehr einhergeht.
Vor allem die Fächer Jura und Medizin sind in diesem Kontext berüchtigt, weil wichtige Examina regelmäßig an Pessach oder Sukkot stattfinden. Und wer nach Ausbildung oder Studium im Arbeitsleben steht, dem kann ähnliches Ungemach drohen.
Immer wieder stoßen Jüdinnen und Juden auf totale Ignoranz.
»Deswegen gehen bei uns viele Hilferufe ein«, berichtet Shila Erlbaum, Bildungsreferentin beim Zentralrat der Juden in Deutschland, von ihren Erfahrungen. Und sie nennt Gründe, warum die Situation kompliziert bleibt. »Es existieren 16 verschiedene Feiertagsgesetze.« Jedes Bundesland hat also seine eigenen Regeln. »In manchem werden die Feiertage nicht explizit genannt, in anderen wiederum sind nur einige als kirchliche Feiertage geschützt.«
freistellung In anderen Fällen wird ausdrücklich vermerkt, dass die Möglichkeit zum Besuch eines Gottesdienstes gegeben werden muss. »Aber die wenigsten Bundesländer gewähren eine Freistellung für den ganzen Tag.« Dabei geht es auch anders. Erlbaum verweist explizit auf das positive Beispiel Hessen. »Wo der politische Wille besteht, können Gesetze auch geändert werden.«
Manchmal führt das Ganze auch zu schrägen Kompromissen. »Als Student der Biologie habe ich einmal an einer Exkursion an einem Sonntagmorgen teilgenommen, bei der es um Vogelbeobachtung ging«, erzählt Daniel Fabian. »Nichts gegen Vögel, aber eigentlich war die Molekularbiologie mein Schwerpunkt im Studium«, so der Landesrabbiner von Sachsen-Anhalt und Co-Vorsitzende von Kahal Adass Jisroel in Berlin. »Alle anderen Exkursionen fanden jedoch an einem Samstag statt. Und an einer musste ich laut Studienordnung ja schließlich teilnehmen.«
Und die Juristin Hannah Rubin berichtet von dem Fall einer Abitur-relevanten Klausur in Berlin, die zu Jom Kippur geschrieben werden sollte. »Auf Intervention hin bot die Schule einen Nachschreibetermin an. Dummerweise war das ein Samstag.« Genau deswegen sind Rabbiner Fabian und die Juristin Rubin so froh, dass diese Thematik endlich mehr Aufmerksamkeit erhält.
»Das Feiertagsrecht ist quasi ein Dauerbrenner«, lautet ebenfalls die Einschätzung von Professor Heinrich de Wall. »Ferner ist das Grundgesetz nicht neutral, weil in allererster Linie der christliche Sonntag geschützt bleibt«, so der Kirchenrechtler. Außerdem ist die föderale Unübersichtlichkeit nur ein Aspekt, es gibt auch eine sachliche. »Wichtige Elemente des Feiertagsschutzes finden sich zudem im Ladenschlussgesetz.«
unwissenheit Immer wieder wurden von den Teilnehmern der Tagung Unwissenheit und Ignoranz als Gründe für die Situation genannt – selbst da, wo man es eigentlich besser hätte wissen müssen. »Vor wenigen Wochen hatte die Mendelssohn-Gesellschaft ausgerechnet an Jom Kippur eine Veranstaltung geplant«, so Nicola Galliner, Gründerin des Jewish Film Festival Berlin Brandenburg. »Als ich darauf aufmerksam machte, bekam ich schon keine Antwort mehr.«
»Das Feiertagsrecht ist quasi ein Dauerbrenner.«
Heinrich de Wall
Auch Anna Staroselski berichtet davon, dass das Problem seitens der Uni-Verwaltungen häufig nicht ernst genommen wird, weil es sich angeblich nur um wenige Einzelfälle handelt. »Immer wieder werden Zuständigkeiten hin- und hergeschoben«, so die JSUD-Präsidentin. »Wir fordern deshalb schon lange, dass auch die Universitäten endlich als ein Raum verstanden werden, wo jüdisches Leben uneingeschränkt stattfinden kann.«
Deshalb sammelt die JSUD diese »Einzelfälle« und fordert mehr Aufklärung. »Der jüdische Feiertagskalender ist viele Jahre im Voraus einsehbar. Vielleicht wirft man bei der Planung von Klausuren oder Examina einfach mal einen Blick darauf. Außerdem sollte verstanden werden, dass man nicht einfach nur frei haben will, sondern ein klares Schreibverbot herrscht.«