Herr Rabbiner Rosen, Sie nehmen diese Woche in Lindau am internationalen Treffen von mehr als 900 Religionsvertretern teil. Was erwarten Sie von der Konferenz »Religionen für den Frieden«?
Der wichtigste Zweck ist, die Kontakte und die Akteure, die bereits in der Szene aktiv sind, zu stärken. Es gibt aber auch spezifische Programme, zum Beispiel zum Klimawandel oder zur Umwelt, zu Schauplätzen bewaffneter Auseinandersetzungen und dem Ziel, heilige Stätten zu schützen.
Gerade Letzteres ist nicht einfach. Was können Religionsvertreter bewirken?
Es gibt bereits einen globalen Verhaltenskodex für heilige Stätten. In Israel gibt es einen Rat der führenden Religionsvertreter. Wenn ein Angriff auf christliche, muslimische oder jüdische Stätten erfolgt, können die Mitglieder gemeinsam klarstellen, dass dies nicht im Namen der Religion geschieht. An einigen Stätten gibt es auch Frühwarnsysteme. Es geht aber auch darum, verschiedenen Gemeinschaften die Sensibilitäten der anderen beizubringen.
Es kommt immer wieder zu Anschlägen auf Synagogen, Moscheen und Kirchen weltweit. Gewalt geht aber auch von religiösen Fanatikern aus. Inwiefern können Religionen zum Frieden beitragen?
Niemals in der Geschichte der Menschheit gab es mehr Zusammenarbeit und Kommunikation, Verständigung und Initiativen zwischen verschiedenen Religionen als heute. Die Medien wollen vor allem das Negative zeigen, weil es sensationeller ist und das, was Menschen interessiert. Aber es gibt so viel Gutes, das von der religiösen Welt ausgeht: Philanthropie, Sozialarbeit, Betreuung von Bedürftigen und Älteren. Ich habe keinen Zweifel: Religion ist in viel stärkerem Maß eine Quelle des Guten als des Bösen. Natürlich geschehen im Namen von Religionen schreckliche Dinge. Aber das kann man nicht vergleichen mit der enormen Anzahl von guten Taten, die auf ihr Konto gehen.
Gibt es Ihrer Meinung nach Religionen, die mehr für den Frieden tun als andere?
Ich denke nicht, dass eine Religion konstruktiver ist als die andere. Ob eine Religion konstruktiv oder destruktiv praktiziert wird, hat mit den einzelnen Menschen zu tun und auch mit der Frage, wie sicher sich Gläubige fühlen. Je weniger sie sich bedroht fühlen, desto weniger laufen sie Gefahr, missbraucht zu werden.
Welche Rolle spielt das Judentum?
Unsere Weisen haben niemals gesagt, dass es in der Tora nur darum geht, koscher zu essen oder Tefillin zu legen. Natürlich sind diese Dinge wichtig. Aber der Kern des Judentums ist die Aussage von Rabbi Akiva: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und Ben Azzai sagte: Jeder Mensch wurde als Ebenbild Gottes erschaffen. Wenn wir diesen Grundsätzen des Judentums treu bleiben, tragen wir zu einer besseren Welt bei.
Mit dem Direktor für interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee (AJC) sprach Ayala Goldmann.