Kultus

Mehr als Baum und Stein

Unsere Weisen erkannten den Impuls, G’tt in der Natur zu finden. Foto: Thinkstock

Die ›grüne Infrastruktur‹ ist das Kapital jeder Stadt und jedes Quartiers und trägt zu ökologisch-klimatischem Ausgleich, zur Naherholung, Gesundheit, zur Schönheit der Stadt und zur Wertsteigerung bei.» Das meint Nordrhein-Westfalens früherer Bauminister Michael Groschek (SPD) und mit ihm die meisten Leiter von Stadtplanungsämtern. Immer mehr Kommunen legen Wert auf das Grüne, das Natürliche.

Auf einen ähnlichen Gedanken könnte man auch in Bezug auf unsere Heiligtümer kommen. Doch dem widerspricht die Tora: «Pflanz dir keine Aschera, überhaupt keinen Baum neben den Altar des Ewigen, deines G’ttes, den du errichten sollst» (5. Buch Mose 16,21).

Ästhetik Was sprach dagegen, den Altar mit etwas von der natürlichen Schönheit der g’ttlichen Schöpfung zu verzieren? Warum sollte man neben der starken, steinigen Weite des Hauptaltars nicht ein paar ästhetisch ansprechende Akzente setzen, die uns an G’ttes Rolle als Erschaffer der Natur erinnern?

Die Tora lässt es aus gutem Grund nicht zu. Die Verehrung von G’tt als Schöpfer der Natur fällt so weit von der jüdischen Mission ab, dass dies verboten ist.

Eine Aschera führt nicht zu einem richtigen Verständnis von G’tt. Im Gegenteil, sie beschränkt und verzerrt das Verständnis. Eine Aschera ist ein der Obhut einer Gottheit unterstellter Baum, in dessen gesegnetem Gedeihen die wirksame Gegenwart der Gottheit erblickt und verehrt wurde. Es entspricht dies ganz dem Heidentum, in dem Gottheiten vor allem Naturmächte waren, deren Walten sich vor allem in der Entwicklung und den Erscheinungen der physischen Welt bekundete.

Ein solcher Ansatz ist ein primitiver Pantheismus, der G’tt überall im physischen Universum sieht, aber nirgendwo anders. Das moralische Reich bleibt unberührt von den Göttern, die kein Interesse an der inneren Verfeinerung des schwachen, ungöttlichen Menschen haben.

Das jüdische G’ttesbewusstsein steht im vollen Gegensatz dazu. Die Tora verabscheut diese Art, G’tt zu konzipieren und Ihm zu dienen. Nicht nur die materielle Welt, viel mehr noch bildet die geistig-sittliche Menschenwelt den Waltungsbereich G’ttes. Wir stellen uns der Welt nicht gerüstet mit der Macht eines G’ttes, sondern durch Seine Weisung gelenkt.

Nur einen Vers zuvor lernen wir eine der wichtigsten Regeln des Judentums kennen: «Nach Gerechtigkeit und nur nach Gerechtigkeit sollst du trachten. So wird es dir wohlergehen» (16,20).

Das Verbot der Aschera bedeutet, dass G’ttes Waltungsbereich die Moral ist und nicht (nur) die materielle Welt. Das Aschera-Verbot ist somit eine logische Erweiterung des voranstehenden Verses.

Impuls Unsere Weisen erkannten den Impuls, G’tt in der Natur zu finden. Es ist ein Impuls, der in den Ländern, in denen wir leben, immer beliebter wird. Unsere Weisen verstanden die Gefahr, dass dieser Impuls leicht dazu führen kann, dass die Menschen den G’tt der Natur anbeten anstatt den G’tt der Moral. Sie gingen so weit, dass sie das Verbot, Aschera-Bäume zu pflanzen, durch das Verbot jeglicher Holzstruktur um den Altar stützten.

Der nächste Vers (16,22) distanziert sich noch weiter von der Konzentration auf den G’tt der Natur: Er verbietet es, ein Mazewa, einen natürlich vorkommenden Stein, als Altar zu benutzen, um G’tt damit zu dienen. Die Tora geht hier sogar so weit, dass sie behauptet, G’tt hasse diese Art von Steinen.

Dies wirft einige Fragen auf. Die Tora berichtet, dass unsere Patriarchen solche Steine benutzt haben, um G’tt zu dienen. Was hat sich geändert, dass der Gebrauch solcher Mazewot nicht nur obsolet geworden ist, sondern gar von G’tt gehasst wird? In einer Welt, die von heidnischen Naturverehrern bevölkert wurde, war es die erste Aufgabe, die ganze Natur unter die Herrschaft eines einzigen G’ttes zu stellen und die ganze Vielfalt und Uneinigkeit unter Seine Führung zu bringen.

Das steinerne Denkmal war ein idealer Ort, um die heidnische Theologie abzulehnen. Die Mazewa war nichts weiter als ein Felsvorsprung, ein Stück von G’ttes Schöpfung, das ein menschlicher Beobachter interessant fand. Es erinnerte die Person an die Macht G’ttes in der Schöpfung und war die passende Plattform, auf der man erklären konnte, dass ein einzelner G’tt für die gesamte Natur verantwortlich war und nicht eine Schar von Göttern. Es gab Platz für die Mazewa neben dem Altar. In der Tat, unsere Stammesväter verwendeten beides.

Vor der Entstehung des jüdischen Volkes war der Dienst an dem einen G’tt begrenzt. Es gab keine große Gruppe, die bereit war, G’tt zu akzeptieren und ein nationales Leben zu führen, das von Seinem Willen geleitet wurde. Der Dienst an G’tt sollte der Welt die Botschaft vermitteln, dass es nur einen einzigen G’tt gibt, der auch der G’tt der Natur ist. Deshalb benutzten unsere Vorväter häufig eine Mazewa.

Nation Das alles änderte sich mit der Geburt der jüdischen Nation und dem Erhalt ihrer Charta am Berg Sinai. Nun war die erste Phase zu Ende. Nun möchte G’tt unser inneres Leben prägen. Das kommt vor allem durch menschliche Aktivitäten zustande, indem wir unser Verhalten ändern.

Anders als Mazewot sind Altäre nicht in der Natur zu finden, sondern sie wurden von Menschen errichtet. Seit der Übergabe der Tora ist jeder Dienst an G’tt, der Ihn zum Meister der Natur, aber nicht zum Meister unseres inneren Lebens und damit unseres Verhaltens macht, nicht zu akzeptieren, ja sogar verhasst. Die alten Mazewot wurden ersetzt durch das Bewusstsein, dass der eine G’tt der Einzige ist. Das ist bisher wohl der bedeutendste Beitrag des jüdischen Volkes für die zivilisierte Welt.

Auf den nächsten großen Beitrag, nämlich dass ein ganzes Volk, allen Widrigkeiten zum Trotz, seine Gedanken und sein Verhalten diesem einen G’tt unterordnet, warten wir leider bis heute.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.

Inhalt
Im Wochenabschnitt Schoftim geht es um Rechtsprechung und Politik. Dabei steht zunächst die Regierung im Vordergrund. Es werden Gesetze über die Verwaltung der Gemeinschaft mitgeteilt sowie Verordnungen für Richter, Könige, Priester und Propheten. Die Tora betont, dass die Kinder Israels in jeder Angelegenheit nach Gerechtigkeit streben sollen. Bevor mit Verordnungen zum Verhalten in Kriegs- und Friedenszeiten geschlossen wird, weist die Tora darauf hin, dass ein Israelit, der einen anderen ohne Absicht totgeschlagen hat, sich in einer von drei Zufluchtsstädten vor Blutrache retten kann.
5. Buch Mose 16,18 – 21,9

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