Purim

Megilla per Zoom?

Feiern im Lockdown ist herausfordernd – im Notfall sind Ausnahmen bei der Lesung erlaubt

von Rabbiner Raphael Evers  25.02.2021 07:25 Uhr

Wenn es nicht möglich ist, die Megilla in der Synagoge zu hören, ist eine Lesung zu Hause oder eine Live-Übertragung die beste Lösung. Foto: Getty Images

Feiern im Lockdown ist herausfordernd – im Notfall sind Ausnahmen bei der Lesung erlaubt

von Rabbiner Raphael Evers  25.02.2021 07:25 Uhr

Purim ist ein fröhliches Fest, aber dieses Jahr wird es anders sein als sonst. Viele Synagogen bieten nur eingeschränkt Zugang, sodass sich die Frage stellt, ob die Menschen Megillat Esther, die Esther-Schriftrolle, über Zoom lesen dürfen. Darüber wurde schon im vergangenen Jahr viel gesprochen.

Doch auch weitere, nicht immer ernste Fragen werden aufgeworfen. Der israelische Rabbiner Gamliel Rabinowitz diskutierte zum Beispiel mit mir darüber, ob man die »Schlachmones«, das Essen für Freunde, oder die Matanot La-Ewjonim, die Spenden für die Armen, per Drohne zu Freunden oder zu den Häusern der Armen bringen lassen kann. Meine Meinung ist: Bei den Schlachmones geht es auch darum, die gegenseitige Freundschaft zu stärken. Wenn ein Affe es kann – wie von Rabbiner Salomon Braun in seinem Buch Shearim metsuyanim ba-halakhah erörtert –, kann es auch eine Drohne!

HÖRGERÄT Die Poskim (Gelehrten) aus dem vergangenen Jahrhundert haben überlegt, ob man die Pflicht zum Hören der Megilla erfüllen kann, wenn man den Ba’al Kore (Vorleser, Kantor) nicht direkt, sondern über ein Hörgerät hört. Viele erlaubten es, durch ein Hörgerät der Megilla zuzuhören. Daraus könnte man schließen, dass die Megilla auch telefonisch vorgelesen werden kann.

Diese Schlussfolgerung ist jedoch falsch: Die Poskim sprachen von mechanischen Schallverstärkern wie einem großen »Horn«, die die Schwerhörigen an ihr Ohr hielten. Beim Telefon werden die Schallwellen des Ba’al Kore in elektrische Wellen umgewandelt und beim Empfänger zu Hause wieder in Schallwellen umgewandelt. Auf diese Weise hört man die Stimme des Ba’al Kore selbst nicht über das Telefon. Daher ist das telefonische Lesen der Megilla nicht gestattet.

Und schon gar nicht über Zoom, denn Zoom ist für die Sprache und nicht für Musik gemacht. Nun ist die Lesung – das Lajnen – aus der Megillat Esther zwar nicht Musik im engeren Sinne, aber dennoch nicht sehr gut über Zoom übertragbar. Oft ist auch die Verbindung nicht stabil.

Die Lesung der Esther-Rolle erfordert keinen Minjan.

Ich habe diese Angelegenheit mit Dajan Menachem Gelley, dem Vorsitzenden des Londoner Beit Din, besprochen. Er erklärt, dass es einige Gelehrte gibt, die das Lesen der Megilla durch ein elektronisches Medium erlauben. Wie in der Halacha, dem jüdischen Recht, üblich, kann man sich im Notfall auf diese Meinung einiger weniger verlassen.

Auch wenn es nach der konventionellen Halacha eine ernsthafte Frage ist, ob man mit einem solchen »Hören« eine Mizwa erfüllt hat, sollte man in einer Situation, in der keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht, zumindest auf diese Weise die Mizwa erfüllen. Wenn es allerdings nicht möglich ist, die Synagoge zu besuchen, und es ebenfalls nicht möglich ist, die Megilla zu Hause aus einer koscheren Schriftrolle zu lesen oder zu hören, dann sollte man über Zoom oder ein ähnliches Medium hören, wie die Megilla »live« rezitiert wird, im Gegensatz zu einer Aufnahme. Das ist besser als nichts.

QUORUM Aber diese Regelung sollte nicht mit der Nutzung von Zoom verwechselt werden, das nicht verwendet werden darf, um einen Minjan für das Beten, die Toralesung oder das Kaddisch zu bilden. Dabei wird ein Minjan von zehn physisch anwesenden Männern erfordert, während die Megilla-Lesung keinen Minjan erfordert.

Können wir also an Pessach mit Zoom gemeinsam mit unseren Großeltern im Altersheim Mazze und Maror essen und die vier Becher Wein trinken? Nein! Die widerwillige Erlaubnis, die Megilla über Zoom zu lesen, hat keinen Einfluss auf die Frage, die vor fast einem Jahr bezüglich des Einsatzes von Zoom am Pessach-Sederabend aufkam, da sich das Verbot damals auf die Melacha (verbotene Tätigkeit der Verwendung von elektrischen Geräten) am Festtag, bezog. Purim hingegen fällt immer auf einen Wochentag, und die Jom-Tov-Gesetze gelten nicht an Purim.

Wir halten das Mikrofon für besser als das Radio und beides für besser als Zoom.

Dürfen wir die Megilla also im Radio hören, wenn ein Sprecher sie im Studio liest? Ja! Wir wurden auch gefragt, ob man die Megilla im Freien mit einem Mikrofon verstärken oder im Autoradio hören kann, wenn eine konventionelle Live-Lesung nicht möglich ist. Wir halten das Mikrofon für besser als das Radio und beides für besser als Zoom.

SOLDAT Vor einigen Jahren richtete ein israelischer Soldat eine Frage an mich: Er konnte sich nicht für beide Megilla-Lesungen beurlauben lassen. Zu Purim sollte man die Megilla zweimal lesen und hören, einmal am Abend und einmal am Tag. Die Abendlesung ist obligatorisch, aber nur »Mide Rabbanan«, als Verpflichtung der Rabbiner. Die Morgenlesung ist jedoch verpflichtend aufgrund der Megillat Esther, die einen höheren Status hat, weil diese Verpflichtung im Tanach, der Hebräischen Bibel, steht.

Viele Gemeindemitglieder müssen sich zwischen der Lesung abends oder morgens entscheiden.


Aber auch jetzt ist diese Frage der Wahl wieder hochaktuell. Synagogen haben derzeit eine sehr begrenzte Kapazität. Mitglieder einiger jüdischer Gemeinden können ihre Synagoge an Purim nur einmal besuchen – wenn überhaupt. Und dann müssen sie sich zwischen dem Abend oder dem Morgen entscheiden.

PFLICHT Der Gelehrte Zwi Aschkenasi aus dem 18. Jahrhundert, der den Spitznamen »Chacham Zwi« trug, wählte die Morgenlesung, weil sie in Bezug auf das halachische Gewicht am wichtigsten war. Die Morgenlesung ist verpflichtender. Rabbi David ben Zimri (1479–1589) ist jedoch der Meinung, dass man in solchen Fällen nicht so sehr auf die Verpflichtung aus dem Tanach achten sollte, sondern eher auf die nächstmögliche Verpflichtung, obwohl sie möglicherweise leichter ist.

»Mizwot sollten so schnell wie möglich erledigt und nicht aufgeschoben werden«, und daher muss man die Erlaubnis für die erste Mizwa beantragen, die zu erledigen ist, in diesem Fall Kriat Hamegilla am Abend. Soweit ich weiß, ist diese Meinungsverschiedenheit in der Praxis nicht entschieden. Jeder kann wählen, welcher Meinung er oder sie folgt. Purim sameach – ein frohes Purimfest!

Der Autor ist Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Dajan bei Europäischen Beit Din und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

Berlin

Chabad braucht größere Synagoge

»Wir hoffen auch auf die Unterstützung des Senats«, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 15.01.2025

Ethik

Eigenständig handeln

Unsere Verstorbenen können ein Vorbild sein, an dem wir uns orientieren. Doch Entscheidungen müssen wir selbst treffen – und verantworten

von Rabbinerin Yael Deusel  10.01.2025

Talmudisches

Greise und Gelehrte

Was unsere Weisen über das Alter lehrten

von Yizhak Ahren  10.01.2025

Zauberwürfel

Knobeln am Ruhetag?

Der beliebte Rubikʼs Cube ist 50 Jahre alt geworden – und hat sogar rabbinische Debatten ausgelöst

von Rabbiner Dovid Gernetz  09.01.2025

Geschichte

Das Mysterium des 9. Tewet

Im Monat nach Chanukka gab es ursprünglich mehr als nur einen Trauertag. Seine Herkunft ist bis heute ungeklärt

von Rabbiner Avraham Radbil  09.01.2025

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert