Der erste Marathonlauf der Geschichte wird nach allgemeiner Lesart auf eine alte griechische Legende zurückgeführt, wonach ein Läufer nach der Schlacht um das Dorf Marathon (490 v.d.Z.) circa 40 Kilometer nach Athen lief, um den Sieg der Athener zu verkünden. Der Legende nach ist der Läufer gleich nach dem Verkünden der Botschaft tot zusammengebrochen.
Auf Initiative des Sprachwissenschaftlers Michel Bréal wurde der Marathonlauf in Erinnerung an diesen legendären Lauf erstmals bei den Olympischen Spielen 1896 als Disziplin eingeführt.
Doch laut dem israelischen Athleten und Mitbegründer der Maccabi World Union, Yosef Yekutieli (1897–1982), wird der erste Marathonlauf der Geschichte schon im Tanach, der Hebräischen Bibel, erwähnt: »Da lief ein Mann von Benjamin aus dem Heerlager und kam am selben Tage nach Schilo und hatte seine Kleider zerrissen und Erde auf sein Haupt gestreut (1. Buch Schmuel 4,12).
42 KILOMETER In den 70er-Jahren maß Yekutieli die Strecke von Ewen Ezer (Ort des Krieges) nach Schilo, die der »Mann von Benjamin« zurückgelegt haben musste und kam auf 42 Kilometer – die Länge des olympischen Marathonlaufs (meine eigene Berechnung aufgrund von Google Maps ergab allerdings etwa 48 Kilometer).
In Erinnerung an diesen Lauf wird in Israel seit 2015 jährlich der »International Bible Marathon« abgehalten, bei dem die Teilnehmer die Strecke des biblischen Läufers nachvollziehen.
Dieses Event ist nur eines im umfangreichen Laufkalender Israels: Denn da gibt es auch den Marathon in Tel Aviv oder Jerusalem, den Tiberias und den Dead Sea Marathon, einen Eilat Desert Marathon und die Hermon Challenge.
Laut dem Athleten Yosef Yekutieli wird der erste Marathon der Geschichte im Tanach erwähnt.
Allerdings sind unter den Teilnehmern vergleichsweise wenige strenggläubige jüdische Sportlerinnen oder Sportler zu finden. Ausnahmen, wie beispielsweise die orthodoxe Läuferin Beatie Deutsch, die bereits in Jerusalem und Tiberias als Erste durchs Ziel kam und sich sogar für den Olympischen Wettbewerb qualifizierte, bestätigen die Regel. Was zur Frage führt, wie das Judentum grundsätzlich zum Ausdauersport und zu körperlichem Training insgesamt steht.
ETYMOLOGIE Um diese Frage zu beantworten, muss aber zunächst die Etymologie und Definition des Begriffs Sport geklärt werden. Er wurde vom altfranzösischen Wort »(se) desporter« (sich zerstreuen, sich vergnügen) abgeleitet und erst im 19. Jahrhundert mit der wachsenden Popularität des Sports in Europa in die deutsche Sprache integriert. Ab 1887 ist das Wort »Sport« im Duden zu finden.
Sprachwissenschaftler tun sich schwer, eine eindeutige Definition für diesen Begriff zu finden, aus dem einfachen Grund, weil er für einen sehr breiten Kreis von Sportarten und Tätigkeiten verwendet wird.
Im alltäglichen Sprachgebrauch hat dieses Wort hauptsächlich zwei Bedeutungen, nämlich körperliche Anstrengung und sportlicher Wettkampf, und es gilt, die Perspektive des Judentums auf beide Aspekte zu erörtern.
GESETZESKODEX In seinem Gesetzeskodex Mischne Tora schreibt der Rambam, Maimonides, zu Beginn des dritten Kapitels von »Deot«: »Weil die Erhaltung der körperlichen Gesundheit und Stärke als Wandel auf den Wegen G’ttes gilt; denn es ist unmöglich, in krankem Zustand die Erkenntnis von G’tt zu begreifen. Daher soll der Mensch die Tätigkeiten, die dem Körper schaden, meiden und sich dagegen Tätigkeiten angewöhnen, die den Körper stärken und kräftigen.«
Es gibt einen bekannten Ausspruch, der ebenfalls dem Rambam nachgesagt wird, wonach die Anfangsbuchstaben des hebräischen Wortes für Gesundheit, »Briut«, für »Bolem Rogso Jafchit Ochlo Wejagbir Tnuaoto« (deutsch: Zorn stoppen, Essen vermindern und Bewegung verstärken) stehen.
Dieses Zitat ist so populär, dass es am 10. Januar 2017 sogar in der 190. Sitzung der Knesset, dem israelischen Parlament, in Jerusalem in der Diskussion zitiert wurde.
RAMBAM In den Werken des Rambam, die uns überliefert wurden, ist dieser Ausspruch als solcher zwar nicht zu finden, die Ratschläge aber stehen im vierten Kapitel von »Deot«. Bezüglich der körperlichen Anstrengung schreibt der Rambam (Paragraf 14): »Eine weitere Hauptregel für die Gesundheit des Körpers ist: Solange sich der Mensch (Anmerkung des Verfassers: physisch) anstrengt und mäßig isst, wird ihn keine Krankheit heimsuchen, und er wird sogar an Kräften zunehmen.«
Der Rambam, seinerzeit Privatarzt des Sultans Saladin, lehrt uns also, dass es zu den essenziellen Pflichten des Menschen gehört, auf die Gesundheit des Körpers zu achten, Sport zu treiben und sich fit zu halten.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde dieser Rat im jüdischen Volk von manchen mehr, von anderen weniger befolgt, aber es gibt viele Geschichten über berühmte jüdische Gelehrte, die bis ins hohe Alter täglich spazieren gingen, um fit zu bleiben.
Rabbiner Avraham Yitzchak Kook, erster aschkenasischer Oberrabbiner des damaligen Palästina, spornt die israelische Jugend in seinem Werk Orot HaTechiya, Kapitel 34, explizit dazu an, sich körperlich zu stärken, auch zur Verteidigung des damals zukünftigen jüdischen Staates. Jedoch dient das Training im Judentum nur dazu, die Gesundheit des Körpers beizubehalten und nicht den Körper »zu perfektionieren«.
HELLENISMUS Anders als im altgriechischen Hellenismus, wo der Mensch und insbesondere der menschliche Körper vergöttert wurden, wird im Judentum der Körper eher als Mittel zur spirituellen Vervollständigung betrachtet. Doch das Mittel darf nicht zum Zweck werden. Der US-amerikanische orthodoxe Autor Ken Spiro fasst diesen fundamentalen Unterschied folgendermaßen zusammen: »Für die Griechen war Schönheit heilig, während für die Juden das Heilige schön ist« (Crash Course in Jewish History, 2010).
Inwiefern ist Sport – nicht zum Zweck der Gesundheit – ein legitimer Zeitvertreib? Beim professionellen Sport ist es generell kein Problem, der Fan eines bestimmten Teams zu sein und es zu unterstützen, solange es nur ein Hobby ist und nicht zur brennenden Leidenschaft wird. Auch das Verehren eines Fußballspielers oder Athleten als Idol ist im Judentum nicht angebracht.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Breitensport, solange er nicht auf Kosten von anderen wichtigen Aufgaben geht, im Judentum sehr gefördert wird.
Der Autor ist angehender Rabbiner. Er studiert am Jerusalem Kollel.