Charakter

Makellos rein

»Sprich zu den Kindern Israel, dass sie dir eine fehlfreie rote Kuh bringen, an der kein Leibesschaden ist und auf die kein Joch gekommen« (4. Buch Moses 19,2). Foto: Stephan Pramme

In unserer Parascha werden wir zuallererst mit dem Gesetz der Roten Kuh (para aduma) vertraut gemacht. Es verdeutlicht uns wieder einmal die Zielsetzung der jüdischen Lebenspraxis. Diese besteht darin, den Alltag durch die Ausübung der Gebote der Tora auf eine höhere Stufe zu erheben. In unserem Fall handelt es sich um die Aufhebung der durch Berührung mit einer Leiche aufgetretenen Unreinheit.

Das Prozedere gliedert sich wie folgt: Eine Rote Kuh, die keinerlei Makel aufweist und die noch nicht in ein Joch gespannt war, wird außerhalb des Ruheortes geschlachtet und unter Beigabe von Zedernholz, Ysop und Karmesin verbrannt. Die Asche löst man in frischem Wasser auf. Das Gemisch wird auf einen Menschen gesprengt, der durch Berührung mit einer Leiche unrein geworden ist.

weisheit Über den tieferen Sinn dieser Vorschrift haben sich unsere Weisen viele Gedanken gemacht. Die diskutierten darüber, warum das Reinigungswasser den Verunreinigten reinigt, die an seiner Herstellung Beteiligten jedoch verunreinigt. Wir müssen uns die Worte Schlomo ha Melechs in Erinnerung rufen, der über das Gesetz der Roten Kuh sagte: »Ich dachte, ich besäße Weisheit, aber sie ist noch weit von mir entfernt!« Wir können den tieferen Sinn dieser Chukka nicht ergründen.

Sodann werden wir Zeugen des Todes von Mirjam, der Schwester Mosches und Aharons, die in Kadesch in der Wüste Zin starb. Auch erleben wir eine von vielen Auseinandersetzungen zwischen dem Volk und Mosche wegen des akuten Wassermangels. Ähnlich wie nach der Rückkehr der Kundschafter, die das verheißene Land erkunden sollten, lautet auch in dieser Situation der Grundton des Volkes: »Wären wir doch nur in Ägypten geblieben! Wozu habt ihr uns aus Ägypten herausgeführt? Um uns etwa an diesen schlechten Ort zu bringen? Das ist kein Ort von Saaten, Feigen, Wein und Granatäpfeln – nicht einmal Trinkwasser gibt es!«

Wie reagieren Mosche und Aharon? Sie ziehen sich an den Eingang des Ohel Moed zurück. G’tt befiehlt Mosche, gegen den Felsen zu reden. Und nun kommt es zu einem Ereignis, das für Mosche weitreichende Konsequenzen hat: Er redet nicht gegen den Felsen, sondern schlägt voller Zorn mit seinem Stab dagegen.

Mosches Zorn und Zweifel entweihen das Ansehen G’ttes unter dem Volk Israel. Dies ist der Grund, warum Mosche das verheißene Land nicht betreten durfte. Wir lernen aus diesen Ereignissen, dass wir an uns arbeiten sollen, um unser Ziel zu erreichen: Wir sollen uns weiterentwickeln und möglichst vollkommen werden.

Defizite Hierin sehen wir nun auch den Zusammenhang zwischen dem Gebot über die Rote Kuh und der eben geschilderten Begebenheit. Der Rambam, Rabbi Mosche ben Maimon (1135–1204), schreibt in den Schmona Prakim, der Einleitung zu den Pirkej Awot: Wir können aus Mosches Übertretung lernen, uns unsere moralischen Defizite stets vor Augen zu halten und versuchen, sie zu beseitigen.

Einen Menschen ohne Fehler gibt es nicht. Wir sollen unsere Mängel dadurch in den Griff bekommen, dass wir versuchen, uns von einem Extrem zum anderen zu bewegen, bis uns unsere natürliche Regung dann auf den Mittelweg führt, der unserer Vervollkommnung am dienlichsten ist. Wir werden aufgefordert, unsere Handlungen genau abzuwägen und in der Mitte zu halten. Denn dadurch erreichen wir die höchste menschliche Stufe, so kommen wir G’tt näher. Jehuda ha Levi (1075–1141) umschreibt diese Stufe im Sefer ha Kusari mit Ewed Haschem – Diener G’ttes.

Unsere heutige Parascha ermahnt uns, das Ziel unserer Weiterentwicklung, die eng mit dem Prinzip der Vervollkommnung der Welt (Tikkun olam) verbunden ist, nie aus den Augen zu verlieren. Mosches Bruder Aharon dient uns hierbei als herausragendes Vorbild. Hillel sagt in den Pirkej Awot über Aharon, dass wir uns zu seinen Schülern rechnen sollen, deren besondere Charakteristika in der Friedensliebe, der Menschenliebe und der Vermittlung der Tora zu sehen sind.

Hierzu schreibt der Rambam, dass man im Herzen die Wahrheit und den Frieden lieben solle, sodass man in der Tat dem Frieden nachjage. Denn es gebe Menschen, die zwar friedliebend seien, sich aber nicht bemühen, den Frieden in die Welt zu tragen. Diejenigen aber, die tatsächlich aktiv nach Frieden suchten und ihn unter den Mitmenschen förderten, sind die Schüler Aharons, der nach der Maxime handelte: »die Geschöpfe lieben und sie der Tora näherbringen«.

reue Von Aharon wird berichtet, dass er sich mit einem Menschen anfreundete, wenn er merkte, dass dieser im Geheimen eine Sünde beging. Der Sünder begann im Herzen zu denken: »Wenn Aharon wüsste, was sich in meinem Inneren abspielt, würde er meine Gesellschaft nicht suchen, denn er hält mich für einen würdigen Menschen. Wüsste er über meine schlechten Gedanken Bescheid, würde er meine Gesellschaft nicht wünschen und sich von mir entfernen.« Auf diese Weise empfindet der Sünder Reue und beschließt, von nun an auf dem geraden Weg zu gehen.

Der Autor ist Leiter des religiösen Erziehungswesens der IKG München.

Inhalt
Der Wochenabschnitt berichtet von der Asche der Roten Kuh. Sie beseitigt die Unreinheit bei Menschen, die mit Toten in Berührung gekommen sind. In der »Wildnis von Zin« stirbt Mirjam und wird dort begraben. Im Volk herrscht
Unzufriedenheit, man wünscht sich Wasser. Mosche öffnet daraufhin eine Quelle aus einem Stein – aber nicht auf
die Art und Weise, wie der Ewige es geboten hat. Mosche und Aharon erfahren, dass sie deshalb das verheißene Land
nicht betreten dürfen. Erneut ist das Volk unzufrieden: Sie sind des Mannas überdrüssig, und es fehlt wieder an Wasser.
Doch nach der Bestrafung bereut das Volk, und es zieht gegen die Amoriter und die Bewohner Baschans in den Krieg und erobert das Land.
4. Buch Moses 19,1 – 22,1

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