Im Traktat Bawa Mezia lesen wir: »Rabbi Jochanan war einer der schönsten Männer der Weltgeschichte! Aber kann das sein? Unsere Lehrer haben doch überliefert, dass Raw Kahana so schön war wie Rabbi Abbahu, und Rabbi Abbahu wiederum war so schön wie unser Vater Jakow. Und Jakow war so schön wie der erste Mensch.
Rabbi Jochanan jedoch wird von unseren Lehrern hier gar nicht erwähnt. Wie kannst du also sagen, er sei so schön gewesen? Es muss ihm doch trotz seiner Schönheit etwas gefehlt haben! Ja, dass Rabbi Jochanan nicht aufgelistet wurde, liegt daran, dass ihm die Pracht des Gesichtes fehlte – nämlich ein Bart« (84a).
Die unangefochtene Schönheit Rabbi Jochanans wird im Talmud an vielen Stellen angesprochen, oft in Anekdoten. An dieser Stelle hören wir jedoch, dass seine Bartlosigkeit ihn erstaunlicherweise daran hinderte, in die Reihen der Allerschönsten aufgenommen zu werden. Was hat es also mit dem so bedeutsamen Bartwuchs auf sich?
Abschneiden Im Tanach hören wir des Öfteren von Bärten. Chanun etwa, der König der Amoniter, war einmal nicht so gut auf König David zu sprechen. Da nahm er die Boten, die David an Chanuns Hof geschickt hatte, und schnitt jedem eine Hälfte seines Bartes ab.
Was hat es mit dem so bedeutsamen Bartwuchs auf sich?
Die Boten schämten sich wegen der halbierten Bärte so sehr, dass sie nicht nach Hause zurückkehren wollten. David befahl ihnen daher, erst einmal in Jericho zu verweilen, bis die Bärte nachgewachsen waren (2. Samuel 10, 1–5).
Die Scham der Bartlosigkeit, die unsere Vorväter verspürten, hatte auch eine rechtliche Dimension. Nach der Tora sollen Männer ihre Bärte nicht »zerstören« (3. Buch Mose 19,27), also die Barthaare nicht bis zur nackten Haut hin entfernen.
Priester Um die Wichtigkeit dieses Gebots zu betonen, wiederholt die Tora es noch einmal im Besonderen für Priester (21,5) – denn nach heidnischem Brauch jener Zeit amtierten manche Priester ganz bewusst geschoren.
Die talmudischen Weisen behielten das mosaische Bartideal zwar bei, fanden aber einen rechtlichen Weg, jemanden, der sich den Bart abrasiert hatte, von seiner Strafe zu befreien: Wenn man die Gesichtshaare auf eine ungewöhnliche Weise abnimmt, etwa mit einer Schere oder – heutzutage – mit einem elektrischen Rasierer, statt mit einer auf der Haut angelegten Klinge, beging man kein strafwürdiges Vergehen.
Dieser halachische Trick wurde zunehmend im 19. Jahrhundert genutzt, um den kulturellen Idealen des aufklärerischen Europa zu entsprechen, das oft keinen Gefallen an Bärten hatte. Über die Haskala verbreitete sich die Bartlosigkeit dann in vielen jüdischen Gemeinden, besonders in der Reformbewegung, aber bald auch in den liberaleren Formen der Orthodoxie.
Über die Haskala verbreitete sich die Bartlosigkeit in vielen jüdischen Gemeinden, besonders in der Reformbewegung, aber bald auch in den liberaleren Formen der Orthodoxie.
Doch im Chassidismus, wo Bärte mit mystischer Bedeutung belegt sind, sowie bei vielen verheirateten litwischen Juden, den Mitnagdim, ist der Bart Pflicht. Der litauische Mussar-Lehrer Chofetz Chaim (1839–1933) hat der Wichtigkeit des jüdischen Bartes eine tiefgehende halachische Analyse gewidmet (Tif’eret Adam).
Halacha Doch die wichtigste Frage ist vielleicht: Was für einen Bart sollte man tragen? Die Halacha kennt nur Vollbärte, doch über die Länge und Form gibt es verschiedene Anschauungen. Zur Zeit unserer Weisen war es üblich, dass Männer kurze Bärte trugen (Tosefta Berachot 1). Lange Bärte stehen dieser Tradition zufolge nur älteren Männern.
So preist das Buch der Psalmen etwa den wallenden Bart des Hohepriesters Aharon und vergleicht ihn mit angenehmem Öl auf dem Gesicht (133,2). Entsprechend sind auf Hebräisch auch die Wörter für Bart (sakan) und alter Mann (saken) eng verwandt.
In mystischeren Traditionen jedoch tragen alle Männer lange Bärte, häufig einen in zwei Partien geteilten Vollbart. Damit werden die einander entgegengesetzten göttlichen Aspekte der Gnade (chessed) und Gerechtigkeit (din) angedeutet.