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Ethik

Lob der Werktätigen

Warum Faulheit und Diebstahl geistigen Eigentums keine jüdischen Tugenden sind

von Netanel Olhoeft  16.01.2017 18:02 Uhr

Das Unterrichten der Tora zählt laut Talmud nicht als eigene Arbeit. Foto: Colourbox

Warum Faulheit und Diebstahl geistigen Eigentums keine jüdischen Tugenden sind

von Netanel Olhoeft  16.01.2017 18:02 Uhr

Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr!», heißt es in den Sprüchen des Königs Schlomo (6,6), und weiter: «Wo man arbeitet, da ist Gewinn; wo man aber nur mit Worten umgeht, da ist Mangel» (14,23). Auch an anderen Stellen dieses biblischen Buchs wird das «Hohelied der Arbeit» gesungen und der Müßiggang gegeißelt. Wieso aber, könnte die Faulheit erwidern, nimmt die Werktätigkeit einen derart wichtigen Platz auf den Seiten des Tanach, der Hebräischen Bibel, ein? Und was ist ihre Rolle im Judentum?

Tatsächlich ist uns auch in anderen wichtigen Quellen der jüdischen Tradition überliefert, dass nicht nur zwischenmenschlich-ethische und kultische Handlungen in den Bereich der uns von G’tt aufgetragenen Mizwot gehören, sondern auch die Werktätigkeit: also das Arbeiten an sich.

So lehrt etwa Rabbi Elieser ben Hyrkanos im 2. Jahrhundert n.d.Z. (Awot deRabbi Nathan B, 21), dass «die Arbeit eine große Sache ist, denn so wie Israel in Bezug auf den Schabbat eine Mizwa erhalten hat, so auch die Arbeit betreffend. Daher steht geschrieben: ›Sechs Tage sollst du deine Arbeit verrichten, und am siebten Tag sei Schabbat.‹»

Rabbi Jehuda ben Batera, ein weiterer tannaitischer Gelehrter, wendet sich gegen Faulheit, indem er die folgende Einsicht preisgibt: «Wenn jemand aber keine Arbeit zu verrichten hat, was soll er dann tun? Hat er einen verödeten Hof oder ein brachliegendes Feld, so gehe er und beschäftige sich mit ihnen!»

Mischkan Nur in «würdigen Ausnahmefällen» dient die Arbeit allein der Ehre G’ttes. Ein viel gelobtes Vorbild ist dabei der Architekt des Mischkans und all seiner Teile, Bezalel ben Uri, dessen Arbeit einen Sitzplatz für die g’ttliche Präsenz in Israels Mitte ermöglichte.

Allerdings bietet uns die Tradition auch die Möglichkeit, Gegenbeispiele zu idealen Arbeitern zu finden: Die Mischna im Traktat Joma, Kapitel 3, präsentiert Erinnerungen an störrische Tempelbedienstete, die zu ihrem eigenen Nutzen und zum Nachteil der Allgemeinheit ihre ausgezeichneten Fertigkeiten bei bestimmten Arbeiten im Tempeldienst nicht teilen wollten.

Dort heißt es: «Die Familie Garmu wollte ihre Handwerks(geheimnisse) bei der Herstellung der Schaubrote nicht preisgeben; die Familie Avtinas die ihren nicht in Bezug auf das Räucherwerk. Hugras ben Levi kannte eine (angenehme) Tonlage beim Levitengesang, die er (anderen) nicht beibringen wollte.»

Diese kurze Anekdote eröffnet weitreichende Fragestellungen zum Umgang mit schöpferischer Kreativität sowie dem Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf geistiges Eigentum und der Pflicht, nicht nur für sich selbst zu arbeiten, sondern für G’tt und zum Wohle der Menschheit.

Denn jene Leviten und Kohanim dienten ja im religiösen Zentrum des Judentums, dem heiligen Tempel, der gänzlich der Herrlichkeit G’ttes geweiht ist und wo Egoismus wenig Platz haben sollte. Beim Tempeldienst, dem einstigen Kern der G’ttesverehrung, sollte alles getan werden, um die daran Mitwirkenden zu einem harmonischen Zusammenarbeiten zu bewegen. Daher hatten diejenigen, die sich Besonderheiten für den Tempeldienst ausgedacht hatten, durchaus die Pflicht, ihre Eitelkeit hintanzustellen und ihr Können in den Dienst Desjenigen zu stellen, zu «Dessen Ehre die Welt er schaffen wurde» (Tosefta, Joma 2).

Dennoch mag man auf den ersten Blick den Wunsch der genannten Gruppen nachvollziehen, ihre eigenen Kreationen oder Überlieferungen nicht der Allgemeinheit preiszugeben.

In der späteren jüdischen Geschichte mussten sich die Poskim, die Halacha-Entscheider, ebenfalls mit Problemen des geistigen Eigentums befassen.

Buchdruck Häufig wurde dabei seit dem Beginn des Buchdrucks die Frage nach den Rechten an einem veröffentlichten Buch gestellt: Durfte dieses nur von einem Drucker publiziert werden, der dem Autor recht war, oder von jedem anderen? Wie lange sollte ein verhängtes Druckverbot gelten? Und was passiert, wenn der ursprüngliche Herausgeber keinen finanziellen Schaden dadurch erleidet, dass das Buch in einer Stadt gedruckt wird, in der er es selbst nie drucken oder verkaufen könnte?

Der Mischna-Abschnitt geht allerdings einer anderen, wenn auch damit zusammenhängenden Fragestellung nach: In den aufgezählten «Patent»-Fällen geht es nicht um die Strafwürdigkeit der Konsumenten, sondern um die Rügbarkeit der Produzenten, die sich weigern, ihre Arbeitsgeheimnisse zu veröffentlichen, obwohl dadurch der Tempeldienst insgesamt verschönert werden könnte.

Diesen Fall kann man mit ähnlichen ethischen Leitlinien vergleichen, die sich nicht aus der Werktätigkeit, sondern aus dem größeren Standbein der jüdischen Lebensführung ergeben: dem Torastudium. Ein Schüler soll seinen Lehrer stets in Ehre halten, da dieser ihm die Weisheit der Tora nahegebracht hat. Daher zitiere er von diesem Gelerntes immer in dessen Namen (Megilla 16a).

Respekt Auch lehre der Schüler nicht öffentlich in der Anwesenheit seines Lehrers, sondern gewähre diesem den Vorzug, da sein Wissen ja dem des Lehrers entwachsen ist (Sanhedrin 5b). Hierin mag man die Idee verborgen sehen, dass dem Verursacher des Wissens – und daher auch dem ursprünglichen Schöpfer eines Produkts – eine höfliche Würdigung entgegenzubringen ist, die eine nicht genehmigte Nutzung seines Erzeugnisses untersagt.

Andererseits ist es dem Toralehrer aber auch nicht gestattet, sein geistliches Wissen – und gerade solches, in dem er sich im Besonderen auszeichnet –, zurückzuhalten. So teilen uns unsere Weisen mit, dass die Gelehrten angehalten sind, sich zur Vermehrung der Tora viele Schüler zu nehmen (Awot 1).

Abschließend ist zu sagen: Die Stellung der Arbeit wird in jüdischen Quellen als so hochrangig betrachtet, dass sie laut einigen Rabbinen auch vom (freilich wichtigeren) Torastudium nicht vollständig verdrängt werden darf (Berachot 35b). Auch das Unterrichten der Tora gilt nicht als eigene Arbeit, denn «wer einen (finanziellen) Nutzen von der Tora hat, dessen Leben schwindet aus der Welt» (Awot 4,5).

Vielmehr, führt Maimonides, der Rambam (1135–1204), aus, ist das Arbeiten ein Fundament für die Erhaltung der Welt. Nicht nur wird damit der eigene Lebensunterhalt garantiert, sondern auch andere Menschen werden durch das Schaffen von Produkten und das Geben von Zedaka unterstützt.

Der Autor studiert Jüdische Theologie an der Universität Potsdam.

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