Chanukka, das Lichterfest, erinnert an den Sieg der Makkabäer im Jahr 164 v.d.Z. über die Seleukiden im alten Israel – und an die Stärke und Kraft der jüdischen Tradition. In Erinnerung an das Chanukkawunder zünden wir acht Tage lang die Kerzen. Eine gute Gelegenheit, um uns zu fragen: Was ist eigentlich Licht?
Licht ist ein Zeichen der Hoffnung, der Erwartung und des Vertrauens. Licht ist aber auch von lebenswichtiger Bedeutung. Tageslicht, das Licht der Sonne, wird buchstäblich zum Leben benötigt. Wer zu wenig davon aufnimmt, dem mangelt es schnell an Vitamin D, dem »Lichthormon«.
Rachitis Schon vor mehr 100 Jahren stellte sich heraus, dass Kinder, die zu wenig Sonnenlicht bekamen, vermehrt an Rachitis litten, was zu Wachstumsstörungen und Knochenverformungen führte. Damals war noch nicht allen klar, dass die Aufnahme von Calcium für die Knochenbildung unverzichtbar ist und dass sie vom Vitamin-D-Spiegel im Körper abhängig ist.
Licht ist aber auch ein Symbol dafür, was der Mensch im spirituellen Sinne braucht. Licht steht für Einsicht, Wissen, Wohlstand und Sicherheit. Licht ist das, worauf wir nicht verzichten können. Licht ist die Nähe des Höheren, Hakadosch Baruch Hu. Warum hat G’tt am Anfang der Schöpfung, bereits am ersten Tag, das Licht geschaffen?
SCHÖPFUNG Es gibt viele Theorien über den Ursprung der Welt, aber für uns gibt es nur eine Schöpfung, so wie wir es in der Tora lesen: »Und G’tt sah, dass das Licht gut war.« Was war so gut daran? Mit dem am ersten Tag geschaffenen Licht ist nicht das Licht gemeint, wie wir es heute kennen und erleben. Dieses Licht war phänomenal, es war ein g’ttliches Licht, nicht greifbar im physischen Sinne. Dieses Licht kann nicht richtig erfasst oder beschrieben werden.
Je mehr spirituelles Licht wir verbreiten, desto stärker wird unsere Seele erleuchtet.
Es war Licht, wahrnehmbar für die gerechten Menschen, die Zadikkim, es war schön und hell, auf urweltliche Weise. Es war spirituelles Licht, voll von G’ttes Nähe. Ohne das Licht – diese Spiritualität – können wir die Größe der Schöpfung überhaupt nicht fassen, verstehen oder wertschätzen. G’tt schuf die Finsternis zusätzlich zu diesem Licht. G’tt schuf eine Trennung zwischen diesem besonderen spirituellen Licht und der Dunkelheit. Das ist die Welt ohne g’ttliche Erleuchtung.
G’tt hat das Licht bestimmt für die Olam Haba — die zukünftige Welt. Dieses Licht und die Dunkelheit können nicht gemischt werden. Wenn wir dieses besondere Licht erleben wollen, müssen wir uns darum kümmern. Dieses g’ttliche Licht können wir erst erleben, wenn wir es in unserem Leben zulassen.
Dazu müssen wir an uns selbst arbeiten, um diese Spiritualität – die Schechina, die g’ttliche Anwesenheit – in unser Leben zu bringen. Wir können G’tt nicht sehen, aber wir werden uns der Gegenwart G’ttes bewusst, wenn wir die Schönheit der Welt erleben, uns in Erinnerung rufen, dass wir gesund sind und ein gutes Leben haben, oder wenn wir die Güte und Liebe unserer Mitmenschen erfahren.
Es ist eine Mizwa, die Kerzen des Schabbats und der Feiertage zu zünden. Indem wir diese besonderen Lichter ruhig betrachten, werden wir in diesem magischen Moment der Präsenz G’ttes gewahr. Die Tora und die Mizwot werden auch als Licht bezeichnet, so wie in Mischlej – Sprüche von König Salomon – steht: »Die Mizwa ist wie eine Kerze, und die Tora ist Licht.«
SEELE Die menschliche Seele – Neschama – wird auch Licht genannt. Eine Mizwa zu tun, ist, als würden wir ein Licht für G’tt anzünden. Und damit bringen wir Licht in unsere Seele – nicht umsonst sprechen wir von »Seelenlichtern«.
Es gibt also unterschiedliche Arten von Licht. Es gibt Tageslicht – ohne dieses Licht können wir nicht leben. Aber ohne das spirituelle g’ttliche Licht kann unsere Neschama nicht leben!
Wie können wir Licht verbreiten? Dazu brauchen wir zunächst Feuer, um die Flamme anzuzünden. Die Eigenschaft des Feuers ist, wie fast alles auf der Welt, sowohl negativ als auch positiv. Wenn wir Kerzen anzünden, benützen wir das Feuer auf beiderlei Weise.
Das Licht der Schabbatkerzen ist nach innen gerichtet, das Licht von Chanukka nach außen.
Eine Flamme kann grundsätzlich zerstören, aber auch Licht spenden. Und sobald es Licht gibt, kann es weiteres Licht ausstrahlen. Je mehr spirituelles Licht wir in dieser dunklen Welt verbreiten, desto stärker wird unsere Neschama von oben durch das g’ttliche Licht erleuchtet.
In diesem Zeitalter der Dunkelheit müssen wir uns der Hand G’ttes in der Welt und unserer eigenen Fähigkeiten bewusst sein, Licht in die Welt zu bringen und zu einer geistig besseren Welt beizutragen. Nur dann können wir dieses Licht auch nach außen ausstrahlen und ein leuchtendes Beispiel für die Völker sein. Und das ist auch das Thema von Chanukka, denn Chanukka heißt nicht umsonst Lichterfest!
HOFFNUNG Licht ist Hoffnung, auf Hebräisch Tikwa. Tikwa kommt von dem Wort »kaw« – eine Linie, die Linie der Geschichte mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Es ist ein besonderes, einzigartiges Licht der Hoffnung, das unsere Frauen jeden Freitagabend anzünden, denn im Judentum ist die Familie das Wichtigste. Das geistige Licht des Schabbats bringt denjenigen, die uns teuer sind, von innen heraus neue Energie und die Schechina, G’ttes Gegenwart.
Das Licht von Chanukka ist jedoch nach außen gerichtet, deutlich sichtbar für die bedrohlichen Kräfte in dieser Welt. Und das ist unsere besondere Mission an Chanukka und besonders auch in Zeiten von Corona: »Pirsum Hanes« – das große Wunder sichtbar machen und die Welt beleuchten!
Der Autor ist Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Dajan beim Europäischen Beit Din und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).