Frau Rabbinerin, in den USA und in Israel veranstalten viele jüdische Gemeinden derzeit Outdoor-Minjanim – Gebete im Freien. Was hören Sie von Ihren Rabbinerkollegen, wie sind die Erfahrungen?
Die meisten, soweit ich es höre, sind noch gar nicht so weit, dass sie Outdoor-Minjanim organisieren, weil es vielen in der aktuellen Situation noch zu riskant erscheint. Die große Zahl der Gottesdienste findet weiterhin über Zoom statt. Aber diejenigen Rabbinerinnen und Rabbiner, die Outdoor-Minjanim veranstalten, berichten von guten Erlebnissen. Natürlich muss das alles im Vorfeld organisiert werden, und die Teilnehmer müssen sich anmelden, damit man im schlimmsten Fall eine Infektion zurückverfolgen kann.
In Ihrer Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin gibt es auch einen Outdoor-Minjan. Auf dem Hof?
Ja, genau. Man muss sich anmelden, und wir entscheiden dann morgens je nach Wetterlage, ob wir in der dritten Etage im großen Saal beten, wo alles für die Teilnehmer mit zwei Metern Abstand aufgebaut ist, oder ob wir die Tische und Stühle nach draußen tragen und im Freien beten. Wir bitten die Teilnehmer darum, aus Hygienegründen ihre eigenen Siddurim mitzubringen. Aber es gibt auch Gebetbücher vor Ort – wenn man sie bis zum nächsten Schabbat nicht mehr anfasst, dann ist das auch in Ordnung. Der- oder diejenige, der aus der Tora liest, holt die Rolle auch selbst aus der Synagoge.
Und wenn der Wetterbericht nicht eindeutig ist?
Einmal hatten wir die Situation, dass das Wetter unbeständig war, da haben wir die Tora erst einmal oben gelassen. Aber das Wetter wurde besser, und während der Wiederholung des Amida-Gebets sind zwei Leute nach oben gegangen, um die Torarolle zu holen. Wir haben draußen natürlich keinen Toraschrein, sondern die Tora liegt auf dem Tisch, und die Bima ist improvisiert.
Ist das alles sehr umständlich und lästig, oder stärkt es auch das Gemeinschaftsgefühl?
Bei uns packt sowieso jeder mit an. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt: Wir beten jetzt draußen auf der Freifläche, wo früher die eigentliche Synagoge war. Wir haben zwei Biertische aneinandergestellt – an der Stelle, wo vor der Schoa die Bima der Synagoge stand. Dieses Gefühl, genau an diesem Platz aus der Tora zu lesen, war für mich etwas ganz Besonderes, und wir haben das auch entsprechend gewürdigt.
Was macht ein Gebet draußen noch besonders?
Wenn ich lauter reden muss, weil die Vögel so laut singen, finde ich das eine sehr schöne Erfahrung. Und der Hof grenzt an ein Krankenhaus, da haben wir auch manchmal Zaungäste, die sich unser Gebet anhören. Auch das ist natürlich nicht alltäglich.
Im Sommer funktioniert ein Outdoor-Minjan natürlich besser als im Winter. Was machen Sie, falls es zu einer »zweiten Welle« von Corona kommen sollte?
Wir werden uns natürlich an die staatlichen Regelungen halten. Damit sind wir bisher gut gefahren. Wenn im Winter die halbe Gemeinde erkältet ist, ist ein Gebet draußen natürlich nicht sinnvoll.
Im Sommer ist es in der Synagoge drinnen oft sehr stickig. Wäre es eine Option, das Outdoor-Gebet in den wärmeren Monaten generell beizubehalten?
Das haben einige Leute vorgeschlagen. Ich finde es eine spannende Idee – und es wäre eine Situation, wo aus der Krise etwas Kreatives entsteht.
Mit der Berliner Gemeinderabbinerin sprach Ayala Goldmann.