Offenbarung

»Lass mich Deine Herrlichkeit schauen«

Mosche will mehr – mehr als ein sterbliches Wesen erwarten kann, denn kein Sterblicher schaut das Antlitz des Ewigen und bleibt am Leben. Foto: Thinkstock

Mosche hat im Zorn die Gesetzestafeln zerbrochen. Dann aber stellt er sich vor das Volk und rechtet sogar mit dem Ewigen: Nein, der Ewige soll das Volk nicht vernichten; und nein, ein Engel, ein Bote nur, soll das Volk nicht anführen auf seinem weiteren Weg durch die Wüste. Solange Du, Ewiger, uns nicht voranziehst – solange Deine Schechina nicht in unserer Mitte weilt, sagt der Targum Onkelos –, so lange gehen wir hier nicht weg, erklärt Mosche dem Ewigen. Der sichert es ihm zu.

Da geht Mosche noch einen Schritt weiter. Gerade hatte der Ewige ihm versichert, er, Mosche, habe Gnade in Seinen Augen gefunden, Er kenne Mosche beim Namen. Und nun verlangt Mosche etwas Ungeheuerliches vom Ewigen: »Lass mich deine Herrlichkeit schauen!«

Mosche Im Grunde verlangt er damit nichts anderes, als dass der Ewige ihm zu erkennen gibt, wie Er wirklich ist. Mit dem Namen »Ehje ascher ehje« ist Mosche nicht mehr zufrieden. Er will mehr – mehr als ein sterbliches Wesen erwarten kann, denn kein Sterblicher schaut das Antlitz des Ewigen und bleibt am Leben.

So meint denn auch der Raschbam (1085–1174), es müsse anders gemeint sein; so etwas könne Mosche gar nicht verlangt haben. Sforno (1475–1550) ist der Ansicht, Mosche habe lediglich eine Bestätigung dafür vom Ewigen gewollt, dass alles durch Seine Existenz gelenkt werde.

Oder verhält es sich doch so, wie auch der Rambam sagt, nämlich dass Mosche in der Tat mit »Herrlichkeit G’ttes« den Ewigen selbst meint, dass Mosche das Geheimnis des Wesens des Ewigen, Seinen wahren Namen, zu erfahren sucht?

Nur so ist letztlich zu erklären, was jetzt geschieht, in dieser mystischen Begebenheit: Zwar wird auch Mosche das Antlitz des Ewigen nicht zu seinen Lebzeiten schauen, aber der Ewige tut ihm tatsächlich Sein Wesen kund, Er lässt Mosche ganz nahe an sich herankommen.

Was Mosche dort in der Felsspalte erfahren hat, ist in unserer Toralesung zum Schabbat Chol HaMo’ed Sukkot zu lesen. Aber ach, menschliche Worte können das Wesen des Ewigen nur sehr unvollkommen beschreiben! Genauso werden später die Propheten ringen mit den Worten, werden sie versuchen, Unbeschreibliches zu beschreiben.

Eifer Was wir dennoch erfahren, ist, dass der Ewige ein liebender, ein fürsorglicher G’tt ist, barmherzig und verzeihend. Und nicht etwa deswegen, weil Ihm die Menschen im Grunde egal wären. Nein, mit Eifer, mit großer Emotionalität nimmt Er sich Seines Volkes an. Denn was bedeutet »El kana« sonst? Eifernd, eifersüchtig – wie unzulänglich ist doch der menschliche Wortschatz!

Und wie vieles bleibt rätselhaft. Der Ewige ist ein vergebender G’tt. Sogar vorsätzliche Vergehen vergibt Er, wenn denn der Schuldige aufrichtig um Vergebung nachsucht. Wo aber die Reue fehlt, wird auch Seine Vergebung ausbleiben. So erklären die Rabbinen den scheinbaren Gegensatz »wenake lo jenake« (Talmud, Joma 86a).

Manche übersetzen dies mit »ganz straflos hingehen lässt Er nicht«, gefolgt von der Aussage, dass Er die Schuld der Väter ahnde (poked) an Kindern und Kindeskindern. Und dabei steht doch dieser Passus unter der Aufzählung der gütigen Eigenschaften des Ewigen! Wie kann das sein?

»Poked« Betrachten wir es einmal nicht mit den Augen des schuldig Gewordenen, sondern vom Standpunkt dessen, der den Schaden erlitten hat. Dann könnte dies eine Zusicherung des Ewigen bedeuten, dem Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Gerechtigkeit, nicht Rache. Und auch an den folgenden Generationen wird Er sich nicht rächen, sondern genau achtgeben wird Er, damit das Fehlverhalten der Väter nicht von Söhnen und Enkeln weitergeführt wird. So interpretiert auch Pinchas Lapide (1922–1997) das Wort »poked«. Nein, der Ewige ist eben kein »G’tt der Rache«, sondern ein »G’tt, der sich kümmert«.

Der Ewige zieht an Mosche vorüber, während Er ihm Seine Eigenschaften kundtut. Er lehrt ihn noch einmal die Quintessenz Seiner Gebote, auch die Feiertage und den Schabbat beschreibt Er ihm. Und Er schließt, noch einmal, einen Bund mit Seinem Volk durch Mosche, den Mann, der sich Ihm nähern durfte wie kein Zweiter. Einen Bund, der unverändert besteht, auch heute.

Die Autorin ist rabbinische Leiterin des Egalitären Minjans »Mischkan ha-Tfila« in Bamberg.

Pekudej

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