Der Roman Moby-Dick gehört zu den großen Werken der Weltliteratur. Die Frage nach dem Warum sei aber gestattet, denn der Autor Herman Melville schildert langatmig Details über Wale, den Walfang in seiner Zeit und verliert sich in Details. Heute würden Lektoren diese Passagen wohl ohne Zweifel herausstreichen und der Geschichte zu etwas mehr Geschwindigkeit verhelfen.
Mit Beginn des dritten Buchs der Tora, Wajikra, kamen wir im vorigen Wochenabschnitt zu einem Teil, von dem heute viele Leser sagen, die Details in den Vorschriften zu den Tieropfern und dem Bau des Mischkan, des Stiftszelts, mit allen Längen und Materialien seien »herausfordernd«.
zusammenhänge Tatsächlich führen die vielen Details dazu, dass wir einige Zusammenhänge überlesen. So sind die Tierarten der Opfer nicht zufällig ausgewählt, und die Anweisung für den Bau des Mischkan ist keine bunte Kombination von Zahlen. Auch die Abläufe der Handlungen der Kohanim, der Priester, sind nicht durch den Zufall choreografiert.
In unserem Wochenabschnitt und im gesamten dritten Buch der Tora begegnen uns zahlreiche Schafe und junge Stiere. Details, die für die Bewohner Ägyptens, das die Israeliten gerade verlassen haben, schockierend gewesen sein müssen.
Die Ägypter verehrten Schafe und Rinder als Götzen. Das schreibt sogar die Tora im 2. Buch Mose 8,22. Dort sagt Mosche zu dem Plan, Schafe vor Ort zu opfern: »Es ziemt sich nicht, dies so zu tun, denn die Götzen Ägyptens opfern wir dem Ewigen, unserem G’tt: Wenn wir die Götzen Ägyptens vor ihren Augen opferten – würden sie uns dann nicht steinigen?«
GEDANKENWELT Viele unter den Hebräern, die nun durch die Wüste zogen, waren noch in Ägypten aufgewachsen, und die Gedankenwelt der Ägypter war ihnen derart vertraut, dass sie vielleicht auch deshalb auf die Idee kamen, ein Goldenes Kalb zu gießen (2. Buch Mose 31–32).
Daher ist die Auswahl keinesfalls ein Zufall. Die Tora führt die Opfer mit genau diesen Tieren ein, damit das jüdische Volk sich nicht mehr mit der ägyptischen Götzenwelt identifiziert, sondern sich dem Ewigen nähert. Für diese Opfer waren die Kohanim, die Priester, verantwortlich. Der letzte Teil des Wochenabschnitts ist ihre Einsetzung (Kapitel 8), genannt »Miluim« (Füllen).
Die siebentägige Prozedur wird von der Tora detailliert beschrieben: alle Opfer (ein einjähriger Stier, zwei Schafböcke und ein Korb mit Mazzot, die mit Öl vermischt sind), das Waschen der Kohanim, das Salben der Kohanim sowie des Stiftszelts, das Auftragen von Blut auf verschiedene Teile des Altars und auf die Kohanim. Dadurch wird deutlich, dass Mosche sie nicht nur durch eine Bekanntmachung dazu autorisiert, Kohanim zu werden, sondern er bereitet sie auch geistig auf ihre kommenden Aufgaben vor.
kohen Der Schritt, der das Bestreichen der werdenden Kohanim mit Blut betrifft (3. Buch Mose 8,23), besteht aus Handlungen, die uns heute seltsam erscheinen: Mosche nimmt das Blut eines Opfers und gibt es auf das rechte Ohrläppchen, den rechten Daumen und den rechten großen Zeh des entsprechenden Kohen.
Es wird nicht beschrieben, welchen Sinn das Auftragen auf Ohrläppchen, Daumen und Zeh hat. Natürlich erinnert uns aber das Bestreichen mit Blut an die letzte Plage, bei der Blut auf den Türpfosten zwischen Tod und Leben trennt. Aber es ist nicht die einzige Erwähnung dieses Vorgangs in der Tora.
Dieses Auftragen begegnet uns später, in Kapitel 14, erneut. Dort betrifft es die Reinigung einer Person, die von Zara’at geheilt wurde, einem Hautausschlag, der laut späteren Kommentatoren auf üble Nachrede zurückzuführen war. Die betroffene Person, der Mezora, musste einen Vogel und zwei Lämmer opfern lassen. Auch von deren Blut wurde etwas auf das Ohrläppchen, den rechten Daumen und den Zeh der gereinigten Person gegeben.
transformation Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) kommentiert zu dieser Stelle, dass diese Körperteile dafür stehen, dass der Mezora seine Gedanken (Ohr), seine Taten (Daumen) und sein Streben (Zeh) in die richtige Richtung lenkt. In beiden Fällen geht es um einen Prozess der Transformation. Der Mezora ist danach wieder für die gesellschaftliche Teilhabe bereit, im Fall des Kohen werden aus Aharon und seinen Söhnen nun tatsächlich Priester.
Die nun eingesetzten Kohanim opferten, wie wir gesehen haben, die ägyptischen Götzentiere. Schauen wir uns bei der Gelegenheit doch auch die Rolle der ägyptischen Priester an. Auch über sie erfahren wir etwas aus der Tora.
Im ersten Buch kauft Josef während der Hungersnot in Ägypten das gesamte ägyptische Land an und überführt es in den Besitz des Pharaos – mit Ausnahme des Landes der Priester (1. Buch Mose 47,22). Es heißt: »Nur das Ackerland der Priester kaufte er nicht; denn die Priester bekamen einen Anteil vom Pharao, sie zehrten von dem Anteil, den ihnen der Pharao gab, darum verkauften sie ihr Ackerland nicht.« Und weiter: »So erließ Josef das noch heute bestehende Gesetz, dass vom Ackerland Ägyptens der fünfte Teil dem Pharao gehöre; allein das Ackerland der Priester gehörte dem Pharao nicht« (47,26).
KOHANIM Genau das Gegenteil trifft auf die Kohanim zu! In der Tora hat das gesamte jüdische Volk einen Anteil am Land, aber die Kohanim besitzen keines und werden vom restlichen Volk mitversorgt durch landwirtschaftliche Abgaben und mit Teilen der Opfer, die auch in unserem Wochenabschnitt beschrieben werden.
Es wäre seltsam, wenn wir als heutige Leser mit dem Konzept der Opfer keine Probleme hätten. Die gab es zu nahezu jeder Zeit. Maimonides, der Rambam (1135–1204), sieht in seinem Führer der Unschlüssigen (3,32) die Einführung der Opfer als Teil eines längeren Prozesses. Die Tora lässt eine Form der Anbetung zu, wie sie das jüdische Volk kennengelernt hat, aber lenkt sie allein auf G’tt.
Er schreibt: »Es ist unvernünftig zu erwarten, dass jemand, der als Sklave aufgewachsen ist und sich mit Schlamm und Ziegeln abgemüht hat, eines Tages seine Hände vom Schmutz reinwäscht und sofort in einen Kampf gegen Riesen zieht. Deshalb brachte G’tt das Volk nicht sofort in das Land Israel und führte es nicht durch das Land der Philister. In ähnlicher Weise ist es unnatürlich für jemanden, der an viele Formen des Ritus gewöhnt ist, die tief verwurzelt sind, sodass sie wie unanfechtbare Gesetze scheinen, dass er unmittelbar von ihnen ablässt.« Diese Transformation beschreibt unser Wochenabschnitt.
Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.
inhalt
Der letzte Schabbat vor dem Pessachfest wird »Schabbat Hagadol«, der erhabene Schabbat, genannt. An diesem Schabbat bereitet man sich auf das bevorstehende Fest der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens vor. In der Toralesung am vergangenen Schabbat sind die fünf Arten von Opfern eingeführt worden. Im Wochenabschnitt Zaw werden sie nun näher erläutert: das Brand-, das Friedens-, das Sünd- und das Schuldopfer sowie verschiedene Arten von Speiseopfern. Dem folgen die Schilderungen, wie das Stiftszelt eröffnet und Aharon mit seinen Söhnen ins Priesteramt eingeführt wird.
3. Buch Mose 6,1 – 8,36