Spricht man vom kulturellen Schatz des deutschen Judentums vor dem Holocaust, wird oft vergessen, dass neben den hochkulturellen Beiträgen zu Kunst, Literatur, Wissenschaft oder Musik und den Schriften religiöser Größen der Zeit auch eine um-fangreiche Jugendliteratur existierte. Umso erfreulicher ist, dass sich heute, da wieder bedeutende literarische Werke jüdi- scher Autoren und Autorinnen in deutscher Sprache entstehen, auch im pädagogischen und Jugendliteraturbereich bemerkenswerte Werke erscheinen.
Nach der fünfbändigen Tora-Jugendreihe Erzähl es deinen Kindern von Bruno Landthaler und Hanna Liss oder dem Sammelband Lehre mich, Ewiger, Deinen Weg. Ethik im Judentum, den der Zentralrat der Juden in Deutschland gemeinsam mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund erstellt hat, ist in diesem Jahr das neu überarbeitete, auf die jüdische Lebenspraxis bezogene Lehrbuch anzuzeigen: Michaela Rychlás Buch Der Glaube Israels ist als Lehrbuch für Schule und Familie konzipiert.
Lehrkraft Die Autorin schöpft aus einer mehr als 20-jährigen Erfahrung als Religionslehrerin in einer Anzahl jüdischer Gemeinden. Die extrem konzise Information, die klar darauf angelegt ist, nicht einfach nur gelesen, sondern mit einer Lehrkraft oder den Eltern besprochen und einzeln durchgegangen zu werden, ist immer begleitet von hebräischen Grundbegriffen, die am Seitenrand der jeweiligen Absätze vermerkt sind.
Daneben werden die einzelnen Kapitel nicht nur von Fragen abgeschlossen, an denen sich das vermittelte Wissen nochmals überprüfen lässt, sondern es finden sich auch immer wieder eingeschobene, speziell gekennzeichnete Details, die das vermittelte Wissen bereichernd und auflockernd begleiten.
So wird im Teil »Gebet« auf das älteste erhaltene Gebetbuch (Machsor Vitry aus dem 11. Jahrhundert) hingewiesen oder im »Jahreskreis« ein kurzer Verweis auf das schon zu rabbinischer Zeit festgelegte Berechnungssystem des jüdischen Jahres im Ausgleich zwischen Mond- und Sonnenjahr eingefügt. Zudem werden an verschiedenen Stellen »Perlen der Weisheit«, Midraschim aus der rabbinischen Literatur, zur Illustration des behandelten Themas eingefügt sowie dienliche Tabellen, die dabei helfen können, die Reihenfolge der Tora-Wochenabschnitte und ihre Zugehörigkeit zu den fünf Büchern Mose nachzuschlagen und sich im besten Falle auch einzuprägen.
Fünf Teile hat Rychlás Lehrbuch: neben den genannten zum Gebet und zum Jahreskreis auch die Bereiche Familie, Bibel und Schöpfung. Gerade in diesem letzten Teil sprengt die Autorin den Rahmen eines innerreligiösen Diskurses. Schon am hier angefügten Bildmaterial, das nicht, wie im Großteil der anderen Kapitel, stark auf ausdrücklich jüdische Gegenstände und Bräuche bezogen ist, sondern auch Bilder schöner Landschaften, aber auch des Elends oder der Wall Street enthält, wird deutlich, worum es Rychlá mit ihrem ganzen Buch geht: Judentum ist eine ganzheitliche Lebensform.
Zwiesprache Der Gedanke eines Gottes, mit dem die Zwiesprache am Morgen nach dem Aufstehen beginnt und dessen Spur das jüdische Religionsgesetz, den Jahresablauf, das Verständnis des Familienverbands prägt, hat auch dort dominant zu bleiben, wo es um die Gestaltung des Planeten Erde, den Umgang mit Ressourcen und die Anwendung wirtschaftlicher und sozialer Ethik geht.
Wie der Klappentext ankündigt, ist dies der erste von drei Bänden einer Lehrbuchreihe. Folgen sollen Bände mit den Schwerpunkten Schabbat und Kaschrut sowie rabbinisches Schrifttum. Dass sich das Buch explizit der orthodoxen Richtung des Judentums verpflichtet weiß, sollte keinesfalls ein Anlass für nichtorthodoxe Juden sein, es nicht zur Hand zu nehmen. An konzentriertem Grundwissen, wertvoller Information und gedanklicher Durchdringung zu jüdischem Alltag wie jüdischem Wertedenken bietet es eine ausgezeichnete und übersichtliche Quelle.
Michaela Rychlá: »Der Glaube Israels. Emunat Jissra’el. Ein Lehrbuch für Schule und Familie«, Band 1. Hentrich & Hentrich, Berlin 2016, 151 S., 24,90 €