An Schabbat Chol Hamoed Sukkot, an dem Schabbat, der in die Zwischenfeiertage des Sukkotfestes fällt, lesen wir traditionell das Buch Kohelet. Sukkot, das Laubhüttenfest, feiert die Ernte im Heiligen Land und erinnert uns an die Wanderung der Israeliten durch die Wüste. Die Themen von Vergänglichkeit und Lebensunsicherheit in Kohelet stehen in Resonanz mit der temporären Natur der Sukka, dem zentralen Symbol des Festes.
Wahrscheinlich kennen viele von uns nur diesen einen Abschnitt aus dem biblischen Buch Kohelet, das auch als »Predigerbuch« bekannt ist und traditionell König Schlomo zugeschrieben wird. Er beginnt mit dem Satz: »Alles hat seine Zeit.« Das Buch Kohelet ist eines der fünf Megillot, der biblischen Rollen, die an den Festtagen gelesen werden.
»Alles ist eitel« – ein zentrales Thema von Kohelet ist die Vergänglichkeit menschlicher Bestrebungen. Der Ausdruck »Hawel Hawalim«, das oft mit »Eitelkeit der Eitelkeiten« oder »Nichtigkeit der Nichtigkeiten« übersetzt wird, drückt aus, dass vieles im Leben vergänglich und letztlich auch bedeutungslos ist.
»Wenn Gʼtt sowohl die Gerechten als auch die Bösen verdammen wird, was ist dann der Sinn (des Lebens)?« (Kohelet 3,17)
Das Buch Kohelet gehört eher zur Gattung der biblischen Weisheitsliteratur als zur Erzählung; es entspringt mehr dem Bereich der Philosophie als der Geschichte. Der Autor mag uns vorschlagen zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein, aber sein Ton ist nachdenklich und düster, und seine Sicht des Lebens ist die der endgültigen Vergänglichkeit. Der Autor meint: »Wenn Gʼtt sowohl die Gerechten als auch die Bösen verdammen wird, was ist dann der Sinn (des Lebens)?« (Kohelet 3,17).
Obwohl Kohelet die Bedeutung von Weisheit anerkennt, weist er auch auf deren Grenzen hin. Weisheit kann die grundlegenden Geheimnisse des Lebens nicht vollständig erklären und vor Leiden oder Tod schützen. Kohelet erkennt, dass Gʼttes Wege über das menschliche Verständnis hinausgehen und dass der Mensch die Zukunft weder vorhersagen noch kontrollieren kann.
»Wer geldgierig ist, bekommt nie genug, und wer den Luxus liebt, hat immer zu wenig – auch das Streben nach Reichtum ist darum vergebens! Je reicher einer wird, umso mehr Leute scharen sich um ihn, die auf seine Kosten leben wollen. Der Reiche kann seinen Besitz zwar bestaunen, aber sonst hat er nichts davon. Wer hart arbeitet, der kann gut schlafen – egal ob er viel oder wenig zu essen hat. Der Reiche dagegen findet vor lauter Sorge um sein Vermögen keinen Schlaf« (Kohelet 5, 9–11).
Kohelet – mit all seinen Herausforderungen – scheint also perfekt zu Sukkot und seinen Mizwot der körperlichen Herausforderungen zu passen. Schlafen wir gut in einer Sukka, oder ist es zu schwer, den Komfort unseres eigenen Bettes zu verlassen? Essen wir dankbar in einer Sukka, oder lassen wir uns von einer kleinen Abkühlung abschrecken? Unterrichten wir unsere Kinder im natürlichen Raum einer Sukka, oder sehnen wir uns nach der Reglementierung des Klassenzimmers? Wenn wir versuchen, uns vom Komfort zu lösen und das Leben sinnvoller gestalten, scheint nichts so zu werden, wie wir es geplant haben, so der Autor.
Kohelet findet keine Antwort auf die Absurdität des Lebens
Am Ende von Sukkot schließen wir unseren jährlichen Tora-Lesezyklus mit Dewarim, dem fünften Mosebuch, und seiner Aussage ab, dass Gʼtt die Gerechten belohnt und die Bösen bestraft. Kohelet sieht das anders. »Würde ein Leben mit einer genauen Beziehung zwischen Tat und Konsequenz, Tugend und Belohnung, Laster und Strafe Sinn machen?« Kohelet meint, dass dies nicht der Fall sei, und er ist niedergeschlagen vom Zusammenbruch des Sinns, der sich in den Widersprüchen zeigt, die das Leben durchdringen. So sieht Kohelet die Welt letztlich als hewel, sinnlos, vergeblich und absurd.
In der Tat fragt Kohelet am Anfang: »Welchen wirklichen Wert hat der Mensch in all dem, was er erwirbt?« (1,3). Kohelet findet keine Antwort auf die Absurdität des Lebens. Das Beste, was er tun kann, ist, Anpassungen an sie zu empfehlen: »Du weißt nicht, aus welcher Richtung der Wind kommen wird; du siehst nicht, wie ein Kind im Mutterleib Gestalt annimmt. Ebenso wenig kannst du die Taten Gʼttes ergründen, der alles bewirkt« (11, 5–6).
Der Midrasch »Kohelet Rabba« versteht dies so, dass wir jeden Tag bis zum Ende ausschöpfen sollten. Die Rabbiner nennen als Beispiele die Arbeit, die Ehe, die Familie und das Studium der Tora, sowohl in der Jugend als auch in späteren Jahren – aber wir können das gleiche Prinzip auf jedes Ziel anwenden. Lebe das Leben in vollen Zügen, sagen sie, als könnte der heutige Tag dein letzter sein und »ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen« (12,2).
Das Buch empfiehlt ein ausgeglichenes Leben
Dies ist keine Botschaft der Vergeblichkeit, sondern eine Botschaft der Hoffnung: Auch wenn wir dem Leben keinen großen kosmischen Sinn geben können, ist es uns möglich, in den Aufgaben des täglichen Lebens Sinn und Befriedigung zu finden. Wir können etwas schaffen, und wir können teilen; wir können heilen, und wir können lieben. Vielleicht ist das nicht alles, was wir uns wünschen, und nicht so lange, wie wir es wünschen. Aber Gʼtt gibt uns »für jede Erfahrung unter dem Himmel eine Zeit« (Kohelet 3,1).
Trotz der pessimistischen Reflexionen ermutigt Kohelet die Menschen, die einfachen Freuden des Lebens zu genießen – Essen, Trinken und Freude an der Arbeit. Diese werden als Gaben Gʼttes betrachtet, die im gegenwärtigen Moment geschätzt werden sollen.
Kohelet endet mit der Aufforderung, »Gʼtt zu fürchten und seine Gebote zu halten«, was nahelegt, dass ein Leben im Glauben und Gehorsam gegenüber Gʼtt der beste Weg ist, den Unsicherheiten und Geheimnissen des Lebens zu begegnen. Das Buch empfiehlt ein ausgeglichenes Leben, in dem man materielle und weltliche Freuden genießt, ohne von ihnen besessen zu sein.
Der Autor ist emeritierter Landesrabbiner von Württemberg.