Neulich beim Kiddusch

Klingeln und Beten

Es ist still geworden in der Synagoge, Zeit für das leise Schmone Essre. Es ist die Art von Stille, die Selbstdarsteller gerne nutzen, um mit besonderer Inbrunst ein paar laute Zeilen aus dem Siddur in den Raum zu rufen. Genau in diesem Moment klingelt ein Handy. Besonders großartig ist es, wenn die angerufene Person das Gespräch annimmt. »Spinnst du? Ich bin in der Synagoge!«, oder »Ich kann nicht laut sprechen, die anderen hören zu«. Oder mein Favorit: »Keine Ahnung, wie lange das hier noch dauert«. Manche halten sich das Gerät auch nur ans Ohr und verlassen die Synagoge, um draußen zu telefonieren.

Da drängt sich die Frage auf, wie es war, bevor es Mobiltelefone gab? Man hört heute weitaus mehr Telefone als weinende Babys. Haben die kleinen Geräte die kleinen Schreihälse abgelöst? Die raschelnden Zeitungen haben sie auf jeden Fall verdrängt. Wenn an den Hohen Feiertagen einige Beter strahlende Gesichter haben und das innere Strahlen scheinbar einen Glanz auf das Gesicht zaubert, kann es heute nämlich sein, dass da nur jemand auf seinem Smartphone Spiegel-Online liest oder seine E-Mails und dass die Bildschirmbeleuchtung auf das Gesicht abstrahlt, wenn die Beter sich nach vorne beugen, um besser lesen zu können.

Handy-Blocker Längst haben alle so ein Telefon. Die Chancen für eine Veränderung der Situation stehen schlecht. Viele – wie mich zum Beispiel – kann man am Schabbat auch nicht einfach auffordern, das Telefon auszuschalten. Das wäre gegen die Vorschriften. Es macht doch keinen Unterschied, ob man das elektronische Gerät selber ein- oder ausschaltet oder jemanden dazu auffordert. Einziger Ausweg wäre, alle Gemeindemitglieder zu überzeugen, Schomer Schabbat zu werden. Dann fasst ohnehin niemand mehr die Geräte an. Was ist also eine bessere Investition? Handy-Blocker für die Gemeinderäume oder flächendeckende religiöse Überzeugungsarbeit?

Doch zurück zur Situation. Es ist still. Plötzlich klingelt ein Handy. Der Ton nervt. Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Sch..., ist das etwa mein Telefon? Mit Sicherheit. Der Klingelton ist selten. Außerdem vibriert mein Tallitbeutel. Wie peinlich! Was soll ich machen? Da fällt mir der Tipp eines alten Freundes ein: Man dreht sich einfach zu einer beliebigen Person im Umkreis um und schüttelt den Kopf. Gespielte Missbilligung, um den Verdacht von sich selbst auf andere zu lenken. Ich drehe mich also zu einem älteren Herrn um und sehe ihn verärgert an. Es funktioniert! Betreten senkt er den Kopf. Nicht immer läuft es so gut. Manche kennen den Trick. Die müssen sich dann schnell zu einem anderen umdrehen und den Kopf schütteln. Normalerweise ist es dann auch schon vorbei, das Klingeln. Es sei denn, der Anrufer ist hartnäckig.

Wirklich sicher ist aber nur das Abschalten des Geräts. Oder die Veränderung des Klingeltons. Die Melodie »Weinendes Baby« wäre die optimale Lösung. Lenkt prima von der eigenen Person ab. »Haben Sie was gegen Kinder? Babygeschrei ist doch Zukunftsmusik!«

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert

Chanukka

Sich ihres Lichtes bedienen

Atheisten sind schließlich auch nur Juden. Ein erleuchtender Essay von Alexander Estis über das Chanukka eines Säkularen

von Alexander Estis  31.12.2024

Brauch

Was die Halacha über den 1. Januar sagt

Warum man Nichtjuden getrost »Ein gutes neues Jahr« wünschen darf

von Rabbiner Dovid Gernetz  01.01.2025 Aktualisiert

Mikez

Schein und Sein

Josef lehrt seine Brüder, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie auf den Betrachter wirken

von Rabbiner Avraham Radbil  27.12.2024

Chanukka

Wie sah die Menora wirklich aus?

Nur Kohanim konnten die Menora sehen. Ihr Wissen ist heute verloren. Rabbiner Dovid Gernetz versucht sich dennoch an einer Rekonstruktion

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.12.2024

Resilienz

Licht ins Dunkel bringen

Chanukka erinnert uns an die jüdische Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben

von Helene Shani Braun  25.12.2024