Wer hat sich nicht schon einmal als religiöser Jude die Frage gestellt: Ist ein Sonnenbad am Schabbat erlaubt? Mit einem knappen, aber entschiedenen »Nein« beantwortete der 1989 verstorbene Rabbiner Izhak Yakov Weiss sel. A., eine der großen halachischen Autoritäten des vergangenen Jahrhunderts, diese Frage. Wenn die Absicht des Sonnenbadenden darin bestehe, seine Haut zu bräunen, sei dies eine kosmetische beziehungsweise medizinische Anwendung für die Haut, argumentierte »Minchat Izhak«, wie er auch genannt wurde. Diese sei aber am Schabbat verboten. Außerdem bestehe die Gefahr, dass man sich mit Sonnenschutz eincremen könnte, was am Schabbat ebenso nicht erlaubt sei.
Wenn religiöse Juden Urlaub machen wollen, gibt es also viele Fragen zu stellen sowie Gebote und Verbote zu berücksichtigen, bevor die Koffer gepackt werden können. Denn anders als die anderen kann der religiöse Jude, wenn er in die Ferien fährt, nicht einfach »abschalten«. Die religiösen Pflichten gelten bekanntlich das ganze Jahr über, und der Urlaub von den Geboten und Verboten der Tora wurde bislang noch nicht erfunden. Zumindest nicht im gesetzestreuen Judentum.
Fragen Daher beginnt der Urlaub für diejenigen unter uns, die ihre Religion beim Wort nehmen, mit vielen Fragen, für die Antworten gesucht werden müssen. Ferienziele und -umgebungen müssen vorweg einem Halacha-Tauglichkeits-Test unterworfen werden. Was genau kann ich an meinem Urlaubsort zu essen bekommen und wo? Wie komme ich an die notwendigen koscheren Produkte heran, wenn ich ausnahmsweise nicht in Israel meinen Urlaub verbringe, sondern zur Abwechslung einmal nach Spanien oder Griechenland reise? Wo, mit wem und in welcher Umgebung werde ich den Schabbat verbringen?
Besteht für mich die Pflicht, einen täglichen Minjan an meinem Urlaubsort aufzusuchen, wenn ich weiß, dass andere Juden ihren Urlaub in der Nähe verbringen? Wie weit müsste ich dann täglich fahren, um einen solchen Minjan zu finden? Welche Mikwe kann eine Frau aufsuchen, wenn sie sich auf irgendeiner karibischen Insel befindet, deren Namen sie kaum buchstabieren kann?
Natürlich gibt es immer die Möglichkeit, einen religiös »gut organisierten« Urlaub zu machen, also sich in einem koscheren Hotel mit Betstube und Minjan, jüdischer Umgebung sowie Mikwe einzubuchen – mit entsprechendem Preisaufschlag. Aber es gibt eben auch Juden, die weniger gut organisiert in den Urlaub fahren, ohne Extras und Zusatzkosten.
Ob der Urlaub an sich eine Mizwa ist oder nicht, ist Ansichts- und Auslegungssache. »Den Urlaub«, so wie wir ihn heute kennen, thematisieren weder die Tora noch die sonstigen rabbinischen Schriften. Die Tora bietet uns den Schabbat und die Moadim, also Feiertage und Feiertagszeiten wie etwa Pessach und Sukkot: Zeiten der Erholung, der physischen Ruhe und Genesung, zwar immer mit einem geistigen Touch versehen, aber eben auch Momente der Ruhe und Erholung.
Urlaub im Sinne von »Weg vom Alltag für zwei Wochen« oder im Sinne eines »verlängerten Schabbats« müssten wir schon sehr geschickt aus Tora und Talmud herausinterpretieren. Zwar ruft auf der einen Seite die Tora unmissverständlich zu körperlicher und gesundheitlicher Unversehrtheit auf, aber ob sie dabei, neuzeitlich weitergedacht, auch an einen zweiwöchigen Urlaub auf Mallorca gedacht hat, sei dahingestellt.
Verse Wir können auch gern den Tanach nach Urlaubsversen durchscannen. Wir werden, wenn wir uns gut anstrengen und fantasievoll bleiben, tatsächlich fündig werden. So heißt es zum Beispiel im Buch des Propheten Jeschajahu: »Aber die auf den Ewigen hoffen, sollen neue Kräfte wechseln.« (Jeschajahu 40,31) Energie muss also neu getankt werden, Kräfte verbrauchen sich. Der Mensch ist eben nur Mensch und darf sich regenerieren. Aber: Urlaub als ein Muss, wie wir es in der heutigen Freizeitgesellschaft kennen, ist in der jüdischen Religionswelt bei Weitem keine solche Selbstverständlichkeit wie in der sogenannten säkularen Welt.
Auch sind die gängigen Urlaubszeiten für gläubige Juden nicht immer günstig. Oft fällt ein Großteil der Sommerferien in die drei Wochen zwischen dem 17. Tamus und dem 9. Aw. In diesem Zeitraum gilt eine gewisse Trauerzeit mit bestimmten Verboten, dazu gehört, keine Musik zu hören oder in den letzten neun Tagen vor dem 9. Aw kein Fleisch zu essen. In der Welt der Jeschiwot und Religionsschulen hat man daher die Ferienzeit, auch Bein Hasmanim genannt, zwischen dem 10. Aw und dem Monatsbeginn des jüdischen Monats Elul angesiedelt. Bein Hasmanim ist die Zeit, in der in der Torawelt für drei Wochen Jeschiwot und Lehrhäuser leer stehen.
Religiöse Familien, die ihre Kinder auf solche Religionsschulen schicken, nutzen diese Zeit, um mit ihnen Ausflüge und Reisen zu unternehmen. Aber auch hier gilt: Die Checkliste muss genau durchgegangen werden. Wohin genau fahren wir, wie viel »Welt da draußen« dürfen wir unseren Kindern zumuten? Und vor allem: Wie groß ist die Gefahr, dass ein Kind auf Reisen Dinge sieht und lernt, die seiner religiösen Stabilität schaden könnten? So lustig es sich anhört: Für manchen Frommen ist Urlaub eher Sorge als Spaß.
Torazelt Bein Hasmanim ist in der religiösen Welt des Torajudentums auch deswegen spürbar, weil jeder Rosch Jeschiwa einige Tage vor Anbruch der Ferienzeit warnende Worte an seine Talmudschüler richtet, die sich dann so anhören können: »Vergesst nicht, dass gerade dann, wenn man vom permanenten Torastudium freigestellt ist, die Besonderheit wahren Toralernens zur Geltung kommt, denn dann weiß man, wer wirklich gerne lernt, auch dann, wenn er nicht lernen muss.« Oder: »Außerhalb des Torazeltes ist eine Welt voller Gefahren und Verlockungen. Das Torazelt muss daher mit in die Ferien genommen werden.«
Urlaub machen ist eben, wie jeder andere menschliche »Loslösungstrieb« auch, eine Verhaltensweise, die vom religiösen Juden in ein kritisches Licht gestellt werden darf. Im Urlaub erholt man sich ja nicht nur, sondern man lässt sich auch gehen. Im Urlaub kommt man zwar zur Ruhe, oft aber neigt man auch zur Leichtsinnigkeit. Der religiöse Jude untersteht aber einem Verhaltenscode, der von ihm stets Vorsicht, Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und Beobachtung verlangt. Eigenschaften also, die in einem ausgiebigen Urlaub, so die Erfahrung einiger, durchaus schon mal vernachlässigt werden.
Letzten Endes ist es mit Urlaub und Ferien nicht viel anders als mit jedem anderen Bedürfnis der menschlichen Gattung. Man muss damit so umgehen können, dass es dem Menschen das gibt, was ihm fehlt: das Positive. Das Negative aber braucht der Mensch nicht.
Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).