Erlösung

Kein Termin für den Maschiach

Patriarchengrab in Hebron heute: Paraschat Wajechi berichtet davon, wie Jakow stirbt und in der Höhle Machpela beigesetzt wird. Foto: Flash 90

Der Wochenabschnitt Wajechi ist der einzige in der Tora, der ohne jegliche Unterbrechung direkt an den vorhergehenden anknüpft. Gewöhnlich wird jeder Wochenabschnitt mit einem neuen Paragrafen eröffnet, oder es gibt eine Überleitung von mindestens neun Buchstaben. Wajechi dagegen ist die direkte Fortsetzung des Wochenabschnitts Wajigasch.

Der Torakommentator Raschi (1040–1105) fragt, was uns das lehren soll, und antwortet mit den Worten des Midrasch: Jakow Awinu habe in dieser Parascha seinen Kindern vom Ende der Menschheitsgeschichte erzählen, also ihnen die Zeit des Maschiach offenbaren wollen. In dem Moment jedoch verließ ihn die Schechina, die g’ttliche Gegenwart.

Wunsch Don Izhak Abrabanel (1437–1508) erklärt in seinem Buch Ma’ajanej HaJeschu’a, dass die ewige Frage, wann der Erlöser endlich komme, in unserem Wunsch wurzelt, dem gegenwärtigen Leiden zu entkommen.

Rabbi Meir Leibusch, der Malbim (1809–1879), einer der größten Kommentatoren des 19. Jahrhunderts, bezieht sich in seinen Kommentaren auf das Buch des Propheten Daniel. Dort wird der Tag, an dem der Maschiach kommen soll, in den letzten Versen angedeutet. Anhand dessen berechnete der Malbim tatsächlich das genaue Jahr der Erlösung.

Als seine Schrift veröffentlicht wurde, löste dies bei vielen Menschen Entsetzen aus. Sie schrieben dem Malbim Klagebriefe, in denen sie die warnenden Worte unserer Weisen zitierten: Jeder, der sich daran mache, das Ende der Tage zu berechnen, solle seinen letzten Atemzug tun.

Parabel Der Malbim antwortete auf die Kritik mit einer Parabel: Ein Kaufmann aus Polen und sein jüngster Sohn reisten nach Leipzig. In den Tagen, bevor Züge die Welt eroberten, dauerte eine solche Reise mehrere Wochen. Es war ein großes Ereignis, das gut geplant und vorbereitet werden musste. Am Tag der Abreise versammelte sich die ganze Familie, um die Reisenden zum Wagen zu begleiten.

Nachdem sie ein paar Stunden gefahren waren, fragte der Sohn den Vater, ob die Reise nach Leipzig noch lang sei. Doch anstelle einer Antwort erntete er nur einen üblen Blick des Vaters. Er entnahm der Mimik, dass seine Frage derart albern war, dass man sie kein zweites Mal stellen sollte.

Und so ging die Reise weiter. Tage und Wochen verstrichen, sie kamen von einem Ort zum nächsten, von Gasthof zu Gasthof, bis endlich der Vater den Kutscher fragte: »Sind wir noch weit entfernt von Leipzig?« Dies ärgerte den Sohn, und er sagte zum Vater: »Als ich diese Frage stellte, hast du mich böse angeschaut, als ob es die dümmste Frage aller Zeiten sei, und nun fragst du genau das Gleiche?!«

Der Vater antwortete: »Ja, es ist wahr, wir haben die gleiche Frage gestellt. Aber der Unterschied war der Zeitpunkt. Du hast kurz nachdem wir losgefahren waren, gefragt. Wenn man so etwas gleich am Anfang einer solch langen Reise fragt, dann ist es tatsächlich eine alberne Frage. Aber jetzt, wo wir kurz vorm Ende sind, ist es durchaus angemessen, nach der Entfernung zu fragen.«

Genauso ist es mit dem Ende der Tage, sagt der Malbim. Als wir Juden gerade erst ins Exil gegangen waren, verstanden unsere weisen Gelehrten, dass wir uns auf eine sehr lange Reise begeben, die Tausende Jahre dauern, uns vor schreckliche Herausforderungen stellen und voller Leid sein kann.

Verzweiflung Hätte Jakow Awinu am Ende von Paraschat Wajigasch offenbart, wie lang die Reise wird, wären die Menschen sofort verzweifelt. Alle Bemühungen, die Erlösung voranzubringen, wären damit zunichtegemacht worden, und alle Hoffnung wäre erloschen. Denn, wer ist schon so stark, einen derart langen, schweren Weg zu gehen? Und wessen Glaube ist so fest, dass er die Hoffnung niemals verliert, vor allem, wenn die Erlösung so fern liegt. Das ist genau der Grund, warum die Weisen sagten: Jeder, der das Ende der Tage berechnet, tut seinen letzten Atemzug – denn es nimmt ihm förmlich den Atem.

Aber jetzt, schreibt Rabbi Leibusch, wo wir alle Zeichen sehen, die kurz vor der Erlösung geschehen müssen, und die endlose Reise bald vorbei ist, jetzt darf man in der Tat darauf hinweisen, dass das Ende nah ist, und sogar die wahre Entfernung bis Leipzig offenbaren.

Ob man das Ende nun berechnen darf oder nicht – es ist für uns wahrscheinlich besser, wenn wir die letzten Seiten des Buches nicht lesen, sondern unsere eigenen guten Taten hineinschreiben.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

Inhalt
Im Wochenabschnitt Wajechi segnet Jakow die Enkel Efrajim und Menasche. Seine Söhne versammeln sich um sein Sterbebett, und an jeden von ihnen wendet er sich mit letzten Segensworten. Jakow stirbt und wird, seinem Wunsch entsprechend, in der Höhle Machpela in Hebron beigesetzt. Josef verspricht seinen Brüdern, nun für sie zu sorgen. Später dann, bevor auch Josef stirbt, erinnert er seine Brüder daran, dass der Ewige sie in das versprochene Land zurückführen wird. Wenn sie dorthin zurückkehren, sollen sie seine Gebeine mitnehmen. Am Ende der Parascha Wajechi stirbt Josef im Alter von 110 Jahren.
1. Buch Mose 47,28 – 50,26

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Wajeschew

Familiensinn

Die Tora lehrt, dass alle im jüdischen Volk füreinander einstehen sollen – so wie Geschwister

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2024

Berlin

Protest gegen geplantes Aus für Drei-Religionen-Kita

Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist demnach ein Lernort geplant, in dem das Zusammenleben der verschiedenen Religionen von frühester Kindheit an gelebt werden soll

 16.12.2024

Feiertage

»Weihnukka« - Weihnachten und Chanukka beginnen am selben Tag

In diesem Jahr starten ein hohes christliches und ein bekanntes jüdisches Fest am selben Tag, am 25. Dezember. Ein Phänomen, das manche »Weihnukka« nennen

von Leticia Witte  16.12.2024

Wajischlach

Wahre Brüder, wahre Feinde?

Die Begegnung zwischen Jakow und Esaw war harmonisch und belastet zugleich

von Yonatan Amrani  13.12.2024

Talmudisches

Licht

Was unsere Weisen über Sonne, Mond und die Tora lehren

von Chajm Guski  13.12.2024

Hildesheimer Vortrag

Das Beste im Menschen sehen

Der Direktor der Yeshiva University, Rabbiner Ari Berman, zeigt einen Ausweg aus dem Frontendenken unserer Zeit

von Mascha Malburg  13.12.2024