Nach seinem »Manifest« gegen eine sogenannte Weltregierung in Corona-Zeiten hat sich Erzbischof Carlo Maria Viganò erneut öffentlich ins Gespräch gebracht – diesmal mit einem Brief an den orthodoxen deutschen Rabbiner Jehoschua Ahrens, den er der »Jüdischen Allgemeinen« und der Website »katholisch.de« zukommen ließ.
Damit reagierte Viganò, ehemaliger Nuntius (Botschafter des Vatikans) in den USA, auf ein Interview dieser Zeitung mit Ahrens, in dem der Rabbiner das Manifest als »Schock« bezeichnet hatte. Anfang Mai hatte eine Gruppe um Viganò das Schreiben veröffentlicht, in dem es hieß, Covid-19 solle genutzt werden, um eine Weltregierung zu schaffen, »die sich jeder Kontrolle entzieht«. Zudem wurde angeführt, die Pandemie diene als Vorwand, um »Grundfreiheiten unverhältnismäßig und ungerechtfertigt« einzuschränken.
DISTANZ Die Rede war zudem von »fremden Mächten«, »supranationalen Einheiten« mit unklaren Absichten und »sehr starken politischen und wirtschaftlichen Interessen« sowie einer »Politik der drastischen Bevölkerungsreduzierung«. Zu den prominentesten Unterzeichnern des Aufrufs gehörte Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller. Die Deutsche Bischofskonferenz ging öffentlich auf Distanz.
Rabbiner Ahrens sagte der Jüdischen Allgemeinen in seinem Interview vom 20. Mai über das »Corona-Manifest«, es sei ein »Riesenproblem«, dass sich Verschwörungstheorien auch in Kirchenkreisen ausbreiteten.
»Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass es Menschen auch innerhalb der Kirchen gibt, die solchen Theorien anhängen. Aber jetzt trauen sie sich, diese Meinungen noch offener zu äußern«, beklagte der Rabbiner vor zwei Wochen.
WELTORDNUNG Nun legte Viganò noch einmal nach. In seinem Brief vom 22. Mai (»am Hochfest der Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus«) teilte Viganò Rabbiner Ahrens mit, dessen Aussagen hätten ihn erstaunt. »Aus welchem Grund sollte sich ein Rabbiner kritisiert fühlen, wenn von einer neuen Weltordnung die Rede ist?«, schrieb der 79-Jährige.
Einen »Ausdruck von Besorgnis – noch dazu vorgetragen von angesehenen Persönlichkeiten – schlicht als ›Verschwörungstheorien‹ abzutun, scheint mir keine konstruktive Herangehensweise zu sein«, befindet Viganò. Er selbst vergleicht in seinem Brief sowohl die Arbeit von Medien und Ärzten in der Corona-Pandemie als auch die Kritik an seinem »Corona-Manifest« mit den Verhältnissen im Nationalsozialismus.
Es habe eine Zeit gegeben, in der sich »unter dem Gehorsam der Massen eine höllische Diktatur mit einem verabscheuungswürdigen Verbrechen befleckte, indem sie schuldig wurde an der Deportation und Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen nur aufgrund ihres Glaubens und ihrer Abstammung«, führt der Erzbischof aus.
MAINSTREAM Weiter schreibt Carlo Maria Viganò: »Schon damals priesen die Massen- oder Mainstream-Medien die Mächtigen und schwiegen zu ihren Verbrechen; schon damals stellten Ärzte und Wissenschaftler ihr Wirken in den Dienst eines wahnhaften Herrschaftsplans; schon damals wurde, wer es wagte, die Stimme zu erheben, bezichtigt, ›Verschwörungstheorien‹ zu verbreiten. Es musste erst das Ende des Zweiten Weltkriegs abgewartet werden, um mit Entsetzen die Wahrheit zu entdecken, die viele bis dahin verschwiegen hatten.«
Der Adressat des über die Medien kommunizierten Schreibens, Rabbiner Jehoschua Ahrens, ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) und Director Central Europe des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation (JCUC) in Jerusalem. Seit vielen Jahren engagiert er sich im christlich-jüdischen Dialog.
»Wenn jemand die Corona-Beschränkungen mit der NS-Diktatur vergleicht, erübrigt sich jeder weitere Kommentar.« Rabbiner Jehoschua Ahrens
Zu Viganòs Brief sagte er der Jüdischen Allgemeinen: »Wenn jemand die Corona-Beschränkungen mit der NS-Diktatur vergleicht, erübrigt sich jeder weitere Kommentar.« Die Deutsche Bischofskonferenz wollte auf Anfrage ebenfalls nicht reagieren. Auch Kurienkardinal Kurt Koch, Präsident der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum, wollte sich nicht äußern.
BÜHNE Aus Kirchenkreisen verlautete, man wolle Viganò keine weitere Bühne bieten. Eine Katholikin, die anonym bleiben möchte, erklärte, die drei Kardinäle, die Viganòs Manifest vor wenigen Wochen unterzeichnet hatten, befänden sich alle im Ruhestand und hätten offenbar zu wenige sinnstiftende Aufgaben in Zeiten der Corona-Pandemie.
Die Website katholisch.de hatte bereits Anfang Mai eindeutig über das »Manifest« des Erzbischofs geurteilt: »Die Liste der Unterzeichner liest sich wie ein Who’s who der Kritiker und Gegner des amtierenden Papstes Franziskus.« Das Manifest spare nicht an »raunendem Alarmismus und Versatzstücken von Verschwörungsmythen und strukturellem Antisemitismus«.
Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR), dem Rabbiner Ahrens als Vorstandsmitglied angehört, lehnte einen Kommentar zu Viganòs jüngstem Schreiben ebenfalls ab. Der DKR verwies aber auf eine digitale Studientagung zum Thema »Die jüdische Weltverschwörung kommt selten allein – Verschwörungsmythen und Antisemitismus wirksam bekämpfen«, die der Dachverband vom 16. bis zum 18. Juni veranstaltet.