Sie ist eine der Patroninnen Europas: Edith Stein. Geboren wurde sie in eine jüdische Familie, entschied sich später für die christliche Taufe, engagierte sich in der Philosophie, wirkte als Ordensfrau und wurde schließlich von den Nazis in Auschwitz ermordet. Das geschah vor 80 Jahren, am 9. August 1942.
Papst Johannes Paul II. sprach Teresia Benedicta vom Kreuz - so ihr Ordensname - 1987 selig, 1998 heilig. Er nannte die aus Breslau (Wroclaw) stammende Stein bei der Seligsprechung in Köln eine »herausragende Tochter Israels und zugleich Tochter des Karmels«. Sie sei zudem eine Persönlichkeit, »die eine dramatische Synthese unseres Jahrhunderts in ihrem reichen Leben vereint«.
Dieses Leben war in der Tat reich: im Glauben, im Spirituellen, in der Philosophie. Und auch in den Überzeugungen. Dies würdigte einmal Pfarrer Lutz Nehk, Beauftragter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit im Erzbistum Berlin, mit Blick auf Frauen, die wegen ihres Widerstands gegen die Nazis starben und weitgehend unbekannt blieben.
»Dies ist ein Bereich, der in der Tat von der Kirche vernachlässigt wurde. Wahrgenommen wurden in erster Linie die Männer und in zweiter Linie die Frauen. Sie wurden nicht ganz verschwiegen, aber es wurde zu wenig auf sie geachtet«, so Nehk. Stein, die wegen ihrer jüdischen Wurzeln verfolgt wurde und im KZ umgebracht wurde, sei eine Ausnahme.
Dass Stein auch heute ein Vorbild sein kann, zeigen zum Beispiel die Edith-Stein-Gesellschaften im In- und Ausland. Oder auch eine Gedenkaktion im vergangenen Jahr: Das Zentrum für Dialog und Gebet nahe der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Oswiecim hatte dazu aufgerufen, Videos zum Gedenktag am 9. August einzureichen.
Manfred Deselaers, Auslandsseelsorger der Deutschen Bischofskonferenz am Zentrum, sagte einmal: »Viele betonen, dass Edith Stein mit ihrer konsequenten Wahrheitssuche Vorbild ist, mit ihrem Mut, sich der Lüge zu widersetzen, mit ihrem klaren Blick für die Wirklichkeit, mit ihrer Offenheit für die Anderen.«
Auch in diesem Jahr sind Aktionen am Gedenktag geplant, etwa ein Gebetsweg in Birkenau, ein Friedensgebet und eine Messe. »Europa erlebt den Krieg Russlands gegen die Ukraine, der uns alle tief erschüttert. Deshalb wenden wir uns an die Patronin Europas und bitten sie um Hilfe«, heißt es auf der Internetseite des Zentrums.
Stein wurde am 12. Oktober 1891 als jüngstes von elf Kindern einer jüdischen Familie geboren. Ihr Vater starb früh, und ihre Mutter kümmerte sich seitdem um den Holzhandel der Familie. Zeitweise bezeichnete sich Stein als Atheistin.
Nach dem Abitur widmete sie sich an der Universität Breslau der Germanistik, Geschichte und Philosophie. Später ging sie nach Göttingen zu dem Phänomenologen Edmund Husserl, bei dem sie in Freiburg nach Dienst in einem Lazarett im Ersten Weltkrieg 1917 promovierte.
Weiter ging es jedoch nicht, denn als Frau hatte sie keine Aussicht auf eine Habilitation. Im Anschluss an ihre Stelle in Freiburg hielt sich Stein an unterschiedlichen Orten auf, schrieb und lehrte. 1921 passierte etwas, das für Stein, wie manch anderes auch, wegweisend war: Sie las die Autobiografie der heiligen Teresa von Avila und befand: »Das ist die Wahrheit.«
Am Neujahrstag 1922 ließ sie sich dann katholisch taufen. Vor vier Jahren würdigte Papst Franziskus Stein, die unter dem Namen Teresia Benedicta vom Kreuz 1933 in das Karmelitinnen-Kloster in Köln eingetreten war, als eine Frau, die konsequent mit Ehrlichkeit und Liebe nach Gott gesucht habe. Er nannte sie eine »Märtyrerin für ihr jüdisches Volk und das christliche«.
Im April 1933 rief Stein Papst Pius XI. zu einer Stellungnahme angesichts der Hetze gegen Juden in Deutschland auf - vergeblich. Immer stärker brach der NS-Judenhass hervor, und im Jahr der Novemberpogrome 1938 musste auch Stein, die Konvertitin, fliehen.
Sie kam im Karmel im niederländischen Echt unter, in dem auch ihre konvertierte Schwester Rosa Dienst tat. Anfang August 1942 wurden sie abgeholt - wohl im Zuge einer Racheaktion für ein Protestschreiben niederländischer katholischer Bischöfe gegen die Umtriebe der Nationalsozialisten.
Am 9. August starben Edith und Rosa Stein im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Edith Stein soll zuvor zu ihrer Schwester gesagt haben: »Komm, wir gehen für unser Volk.«