Religion

Jesus, der Talmud und das Judentum

Jesus mit der Tora im Tempel (Passionsspiele 2010, Oberammergau) Foto: imago stock&people

Wie oft Jesus und das Christentum im Talmud vorkommen, ist höchst umstritten. Das Christentum kommt wahrscheinlich kaum vor. Die Annahme früherer christlicher Gelehrter, dass jedesmal, wenn der Talmud von Minim, also Häretikern, spricht oder gar von Götzendienern, Christen gemeint seien, gilt heute unstrittig als falsch. In den allermeisten Fällen handelt es sich wohl um andere jüdische Gruppierungen ihrer Zeit, also um Sadduzäer, Essener oder andere.

Doch selbst dort, wo Jesus namentlich genannt wird, ist Vorsicht geboten. Ist wirklich der Jesus des Christentums gemeint? An einer Stelle in Gittin 47a zum Beispiel, in der ein Mann Namens Jesus erwähnt wird, argumentiert Rabbiner Jechiel von Paris im Mittelalter, dass es sich hier um eine andere Person namens Jesus handeln müsse, da der Zusatz »der Nazarener« fehlt.

NAZARENER Ähnlich wird auch an anderer Stelle über die Zuordnung diskutiert. So kommt Jesus also nur ganz selten im Talmud vor. Selbst in einer Maximalannahme wird er nur in einigen wenigen kurzen Absätzen erwähnt – bei Tausenden von Seiten des Talmuds! Marginaler geht es nicht.

Das sollte nicht wirklich verwundern, wurde doch der Babylonische Talmud, wie schon der Name sagt, in Babylon diskutiert und redigiert, ungefähr in der Zeit zwischen den Jahren 200 und 500 n.d.Z. Dort gab es damals keine Christen, und die relativ junge Religion war wohl kaum bekannt.

Wenn Jesus im Talmud erwähnt wird, dann wenig schmeichelhaft.

Das spiegelt sich auch im Talmud wider. Dort, wo es um Jesus geht, scheinen die Beschreibungen eher legendenhaft. Was man erzählt, hat man vom Hörensagen, es basiert nicht auf einem echten Austausch mit Christen.

Dazu passt auch, dass einige der talmudischen Aussagen einer antichristlichen Schrift des heidnischen Philosophen Kelsos aus dem späten 2. Jahrhundert verblüffend ähnlich sind. Offensichtlich wurde diese Polemik, der zufolge Jesus das Kind aus einer ehebrecherischen Beziehung des römischen Soldaten Pantheras mit Maria sei, einfach übernommen (Sanhedrin 67a und Schabbat 104b).

Das zeigt aber auch: Wenn Jesus im Talmud erwähnt wird, dann wenig schmeichelhaft.

Schisma Dabei kann der Talmud auch selbstkritisch sein, wie in Sota 47a: Hätte Jehoschua ben Prachja seinen Schüler Jesus nicht »mit beiden Händen« fortgestoßen, sondern ihm widersprochen, ihn aber gleichzeitig »mit der Rechten« wieder herangezogen, dann hätte Jesus vielleicht gar nicht zu einem Schisma geführt.

Grundsätzlich wird Jesus aber als Zauberer und Verführer verstanden, wie beispielsweise in Sanhedrin 43a: »Am Vorabend des Pessachfestes henkte man Jeschu. Vierzig Tage vorher hatte der Herold ausgerufen: ›Er wird zur Steinigung hinausgeführt, weil er Zauberei getrieben und Israel verführt und abtrünnig gemacht hat; wer etwas zu seiner Verteidigung zu sagen hat, der komme und bringe es vor.‹ Da aber nichts zu seiner Verteidigung vorgebracht wurde, so hängte man ihn.«

Die talmudischen Texte bewerten Jesus nicht in Bezug auf das Christentum, sondern beurteilen ihn nach Kriterien der jüdischen Religion.

Auch hier ist nach wie vor fraglich, ob es sich bei dem genannten Jeschu tatsächlich um Jesus handelt, da diese Szene laut dem Talmud mindestens 100 Jahre vor Jesu Geburt stattfand.

Wenn der Talmud damit Bezug auf die Evangelien nimmt, dann würde er die Geschichten der Verurteilung dort revidieren, denn hier – und das betonen die Rabbinen – hat ein fairer Prozess stattgefunden.

Innerjüdisch Wichtig ist auch: Die talmudischen Texte bewerten Jesus nicht in Bezug auf das Christentum, sondern beurteilen ihn nach Kriterien der jüdischen Religion. Damit ist die Kontroverse um Jesus eine innerjüdische Angelegenheit, und die Rabbinen des Talmud betrachteten ihn als Juden, der vom rechten Weg abgekommen ist.

Das heißt aber nicht, dass Jesus keinen theologischen Status außerhalb des Judentums haben kann. Es überrascht daher nicht, dass viele jüdische Gelehrte später, von Maimonides über Meiri bis zu Jacob Emden, zwar Jesus als jüdischen Messias ablehnten, ihm aber gleichzeitig einen theologischen Status in Bezug auf die anderen Völker einräumten.

Jesu Botschaft war also nicht an uns Juden, sondern an die Heiden gerichtet. Um es mit Rabbiner Emdens Worten auszudrücken, hat Jesus damit »der Welt eine doppelte Güte zuteil werden« lassen, denn »einerseits stärkte er die Tora«, und andererseits »beseitigte er die Götzen der Völker«. Daher sind »Christen Gemeinden, die zum himmlischen Wohl wirken und zu Dauerhaftigkeit bestimmt sind …, und die Belohnung wird ihnen nicht versagt bleiben«.

Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) und Director Central Europe des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation (JCUC) in Jerusalem.

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