»Na’asse wenischma« (2. Buch Mose 24,7) bedeutet: Wir werden es tun, und wir werden – erst später – verstehen, warum wir es tun. Es kann aber auch bedeuten: Wir werden jetzt tun, was Du, G’tt, von uns verlangst, aber wir werden auch auf die Gebote der späteren Gelehrten in den kommenden Generationen hören. »Nischma« kann Zuhören und Befolgen, aber auch Verstehen bedeuten.
»Na’asse wenischma« wurde vom jüdischen Volk gesagt, nachdem es am Fuße des Berges Sinai an Schawuot vor 3334 Jahren die Zehn Gebote hörte. Das ganze jüdische Volk hat sich G’tt unterworfen. Die Tora wurde ohne Murren akzeptiert.
POSTMODERNE Dieses Adagium passt nicht wirklich in die Zeit der Postmoderne. Alle Formen der Autorität zerbröckeln. Engagement ist nicht mehr »in«. Diese Zeiten vertragen die Grundwerte des Judentums nicht mehr. Die Kontinuität der jüdischen Tradition ist durch die neuen Umwelteinflüsse gefährdet. Die Postmoderne propagiert maximalen Pluralismus und moralischen Relativismus, grenzenlose Möglichkeiten und schrankenlose Freiheit. Wir müssen eine angemessene Antwort darauf finden.
Wenn wir uns der Tradition nicht mehr verpflichtet fühlen, wird unsere Kontinuität verschwinden. Doch nur mit echtem Engagement ist unsere Kontinuität gewährleistet. Nur echtes Engagement lässt alle Probleme wie Schnee in der Sonne schmelzen.
In »Na’asse wenischma« kommt die völlige Hingabe an G’ttes Weisheit und Führung zum Ausdruck. Dies ist die Stärke der jüdischen Tradition und bildet die Vitalität des jüdischen Volkes.
TATEN Was ist wichtiger – Lernen und Verstehen oder Handeln und Ausführen der Mizwot (Gebote)? In den Sprüchen der Väter (Pirkej Awot 3,9), einem Werk voller jüdischer Weisheit, sagte Rabbi Chanina ben Dosa (1. Jahrhundert n.d.Z.): »Nur wenn die guten Taten eines Menschen größer sind als seine Weisheit, hat seine Weisheit Bestand. Aber wenn die Weisheit größer ist als seine guten Taten, dann hat die Weisheit keinen Bestand.«
Wenn wir davon ausgehen, dass Wissen eine Voraussetzung für gutes Verhalten ist – und das tun wir–, wie können dann unsere Taten größer sein als unsere Weisheit?
Mit »Na’asse wenischma« haben wir uns verpflichtet, die Tora und ihre späteren Bestimmungen zu beachten. Rabbi Chanina will damit nicht sagen, dass Taten dem Wissen vorausgehen sollten. Das ist unmöglich. Man kann die Gebote nicht richtig erfüllen, wenn man sie nicht vorher eingehend studiert hat.
MIZWOT Rabbi Chanina sagt nur, dass unser Engagement für die Mizwot unsere Weisheit übersteigen muss. Wir müssen bereit sein, die Mizwot ohne Zögern, ohne Vorbehalte oder Einschränkungen zu erfüllen. Das Judentum ist eine Religion der Tat. Unsere Weisen wollten eine ausbalancierte Persönlichkeit. Sie wollten nicht nur religiöse Handlungen, von denen man den Hintergrund nicht versteht. Sie wollten auch keine intellektuelle Religion, die nur aus hochfliegenden Idealen besteht. Wir haben einen Intellekt und viele praktischen Fähigkeiten.
All diese menschlichen Funktionen sollten in den Dienst der Religion gestellt werden: der ganze Mensch in all seinen Aspekten. Erst am Berg Sinai wurde das jüdische Volk zu einem echten Volk. Eine große Aufmerksamkeit für gemeinschaftliche Handlungen und eine gemeinsame Praxis der Tat schmiedet ein Volk zu einer Einheit. War die Aussage »Na’asse wenischma« eine spontane Zustimmung oder eher die Verbesserung einer früheren, weniger korrekten Aussage?
Ursprünglich, noch vor der Übergabe der Tora auf dem Berg Sinai, verspricht das jüdische Volk nur, alles zu tun, was G’tt will. Dies steht direkt vor den Zehn Geboten im 2. Buch Mose Kapitel 19.
Nur fünf Kapitel später schließt Mosche einen Bund zwischen G’tt und dem Volk (2. Buch Mose 24,3ff.): »Er nahm das Buch des Bundes und las es dem Volk vor. Und sie sagten: Alles, was G’tt gesprochen hat, werden wir tun und ihm gehorchen.«
versprechen Das Volk bedauerte also sein Versprechen, nur zu tun, was G’tt will. Die Israeliten versprechen nun, sich zu bemühen, alles zu verstehen und auch die späteren Bestimmungen zu befolgen.
Unsere Vorfahren standen am Fuße des Berges Sinai und schworen der Tora im Namen aller künftigen Generationen die Treue. Jedes Jahr an Schawuot bekräftigen wir den Schwur unserer Vorfahren mit neuem Elan und Enthusiasmus. Nur unser Engagement in jeder Generation garantiert das Fortbestehen des jüdischen Volkes als Volk des Buches.
Der Autor ist Rabbiner und lebt in Israel.