Die Glücksspielindustrie blüht. Überall sind Spielhallen zu finden. Immer mehr Hotels bieten Spielautomaten und Casinoräume an. Auch Lotterien bringen hohe Erträge ein. Poker wurde zu einer offiziellen Sportart, die im Fernsehen übertragen wird. Jeder von uns träumt von einem Jackpot, von viel Geld und tollen Preisen, ohne dafür viel tun zu müssen. Doch ist das Glücksspiel aus halachischer Sicht überhaupt erlaubt? Was sagen unsere Quellen dazu?
Den Anfang dieser Diskussion über das Glücksspiel findet man in der grundsätzlichen Frage, wer laut jüdischem Recht würdig ist, als Zeuge zugelassen zu werden. Im 2. Buch Mose 23,1 steht: »Reiche deine Hand nicht dem Frevler, um ein falscher Zeuge zu sein.« Aus diesem Vers leitet der Talmud im Traktat Sanhedrin 27a ab, dass jemand, der das Gesetz übertritt, um daraus persönlich einen finanziellen Nutzen zu ziehen, nicht als Zeuge zugelassen werden darf.
Ein Würfelspieler, ein Wucherer und jemand, der auf Tauben wettet, darf laut Traktat Sanhedrin 3,3 der Mischna nicht zu einer Zeugenaussage zugelassen werden. Rabbi Jehuda wiederum meint, die Ablehnung dieser Menschen als Zeugen sei nur erlaubt, wenn sie keinen anderen Beruf hätten. Falls sie aber doch einen zusätzlichen Beruf ausüben, sind sie als Zeugen koscher. Die Gemara zu diesem Mischnatraktat führt in 24b zwei weitere Meinungen an, die den Grund für die Nichtzulassung von Spielern erklären.
Zusage Rami Bar Chama nennt das Argument, warum ein Spieler nicht als Zeuge gelten kann: weil sein Gewinn auf einer »Asmachta« (Zusage) beruht. Das heißt: Die Spieler legen das Geld nur deswegen auf den Tisch, weil sie darauf vertrauen, es wieder zurückzubekommen. Da der Verlierer sich also nie wirklich von seinem Geld getrennt hat, nimmt der Gewinner Geld ein, das ihm gar nicht gehört, und ist somit des Diebstahls schuldig. Raw Scheschet nennt einen anderen Grund: nämlich, dass Spieler sich nicht mit dem »Aufbau der Welt« befassen. Da sie für die Gesellschaft nichts Nützliches tun, können wir uns nicht auf ihre Zeugenaussage verlassen.
Die Meinungen der Rischonim, der Rabbiner des frühen Mittelalters, zum Thema Glücksspiel sind geteilt. Der Rambam schreibt in Hilchot Gesela 6,10 , es gebe ein rabbinisches Verbot, Glücksspiele zu betreiben, da man dabei stehle. Genauso verboten sei es, Wetten abzuschließen. Tosafot Eruvin 82a führt dazu aus, die meisten Glücksspiele könnten nicht als »Asmachta« klassifiziert werden – seien also erlaubt.
In Sanhedrin 24b konstatiert Tosafot dagegen, dass es sich hier nur um den Fall handelt, in dem das ganze Geld bereits auf dem Tisch liegt und der Gewinner seinen Gewinn sofort mitnehmen kann. Falls dies aber nicht zutrifft und es sich um einen versprochenen Gewinn handelt, gilt das Spiel als »Asmachta« – und ist demnach verboten. In Bava Metzia 5 sagt Mordechai ben Hillel HaKohen (ca. 1250–1298), die oben erwähnte halachische Zulässigkeit gelte nur für solche Glückspiele, für die keine Geschicklichkeit vonnöten ist.
Alle anderen, bei denen man auf eigene Fähigkeiten setzt, sind nach Ansicht vieler Gelehrter verboten. Die Meinung von Rabbi Jitzchak ben Scheschet (1326–1408), dem Rivasch, ist ebenfalls erwähnenswert. Er schreibt, sämtliche Glücksspiele seien nach Übereinstimmung aller halachischen Autoritäten untersagt, denn es handele sich beim Spielen um eine »abscheuliche und widerwärtige« Tätigkeit, die schon viele ins Straucheln gebracht habe.
Rambam Auch die Meinungen der maßgeblichen sefardischen und aschkenasischen halachischen Autoritäten sind in dieser Frage geteilt. Der Schulchan Aruch schließt sich der Meinung des Rambam an. Demnach darf der Gewinn aus einem Glücksspiel nicht einbehalten werden. Wer dies dennoch tut, ist laut Schulchan Aruch ein »Gaslan Miderabanan« (nach der Meinung der Rabbiner ein Dieb).
Falls der Gewinner keinen anderen Beruf ausübt und ausschließlich als Spieler sein Geld verdient, wird seine Zeugenaussage nicht angenommen. Rema dagegen war mit dem Schulchan Aruch nicht einverstanden und stellte sich auf die Seite von Tosafot und Mordechai, indem er bestimmte Arten des Glücksspiels erlaubte. Das bedeutet, dass die Frage des Glücksspiels bei Sefarden sehr viel restriktiver gehandhabt wird als bei Aschkenasen.
Lotteriegewinn Doch wie sieht es mit der Lotterie aus? Es gibt einige halachische Responsen wie die von Chavot Yair oder Raw Israeli Mizrachi, die die Verlosung eines goldenen Kidduschbechers oder einer Torarolle zuließen. So schreibt Raw Josef Chaim in Raw Pealim, dass die Lotterie erlaubt ist, wenn es um eine Verlosung bestimmter Gegenstände geht. Da keiner der möglichen Gewinner dieses Objekt besitzt, ist der Anbieter kein Dieb, denn jeder Spieler trennt sich willentlich von seinem Geld, um den Gewinn zu ergattern.
Raw Ovadia Hedaja erlaubt sogar das Lottospiel, das einen großen Geldgewinn verspricht. Er schreibt, selbst die großen Rabbiner Italiens hätten sich an Lotterien beteiligt. Hingegen stellt Raw Ovadia Yosef in Jabia Omer 7, Choschen Mischpat 6 fest, es sei auch den Aschkenasen verboten, Lotterielose zu erwerben, denn der Gewinner sei des Diebstahls schuldig. Dabei zitiert der Gelehrte die Meinung des Rivasch.
Wir sehen, dass Glücksspiele im Judentum ein äußerst umstrittenes Thema sind. Wer in einem konkreten Fall eine halachische Entscheidung hören möchte (etwa, um sich zu entscheiden, ob er ein Lotterielos kaufen darf oder nicht), muss sich – natürlich wie auch in jedem anderen Fall – mit seinem Rabbiner beraten.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde in Osnabrück und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD).