Die Wochenabschnitte geben unseren Schabbatot ihre Namen. Bereschit, Wajigasch, Dewarim und die Beschäftigung mit diesen Abschnitten erschöpft sich idealerweise nicht im reinen und jährlichen »Wiederlesen« in der Synagoge, sondern sie besteht auch aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Texten.
Seit langer Zeit geschieht diese Auseinandersetzung mit den Paraschot über kommentierte Tora-Ausgaben. In den meisten dieser Ausgaben ist der Kommentar von Raschi abgedruckt (1040–1105), in anderen weitere Kommentatoren. Besonders ausführliche Ausgaben enthalten außerdem Kommentare zu den Kommentaren.
Die Auseinandersetzung mit dem Wochenabschnitt geschieht jedoch auch über die Diskussion und neuere Auslegungen der Texte aus der Tora. Da man nicht alle Kommentare kennen und kombinieren kann, gibt es, vor allem für den hebräischen und englischen Markt, zahlreiche Bücher über die Wochenabschnitte, in denen vollständige Abschnitte oder einzelne Sätze aus diesen analysiert und besprochen werden.
Auf dem deutschsprachigen Markt sieht es jedoch überschaubar aus.
Online Die Jüdische Allgemeine präsentiert wöchentlich einen ausführlichen Text zum Wochenabschnitt – und auch Onlineprojekte bemühen sich um die wöchentliche Kommentierung. Auf dem Buchmarkt jedoch sah es, bis auf Zwi Brauns Drei Minuten Ewigkeit, bisher sehr dünn aus. Zu groß ist noch immer das verlegerische Wagnis, mit einem solchen Buch an den Start zu gehen. Die Zielgruppe ist übersichtlich klein und die Frage berechtigt, ob sich das kostspielige Verlegen eines solchen Titels lohnt.
Es handelt sich um einen Markt für diejenigen, die kleine Auflagen produzieren können – »on demand«, auf Abruf: Bücher, die dann gedruckt werden, wenn jemand sie bestellt. Jüdische Bücher in Kleinstauflage bieten also eine Chance – für die Herausgeber und die Leser. Diese Bücher brauchen nicht so produziert und aufbereitet werden, dass sie auch einem großen nichtjüdischen Publikum gefallen müssen, um eine gewisse Marge zu erzielen. Dieser Umstand kann, wenn die Bücher inhaltlich und gestalterisch gelungen sind, für Autoren und Abnehmer ein großer Glücksfall sein.
Ein solcher Glücksfall ist Arieh Bauers Der Leiner – eine Ausgabe in zwei Bänden, von denen der jüngste, Der neue Leiner, gerade erschienen ist. »Lejnen« ist die volkstümliche Bezeichnung der aschkenasischen Juden für die rituellen Rezitationen und Kantillationen der heiligen Toratexte. Arieh Bauer, ein Wiener Kaufmann mit Jeschiwa-Ausbildung, schreibt ausführliche Betrachtungen zu den Wochenabschnitten.
Tora Auch er zitiert Raschi, Ibn Ezra und viele andere große Kommentatoren und Rabbinen. Die Sprache Bauers bleibt dabei plaudernd und kurzweilig. Der lockere Ton mindert jedoch nicht den Ernst und Respekt vor der Tora und den zitierten Weisen. Bauer verwebt die zeitgemäße Präsentation mit Rückgriffen auf Überliefertes in einen neuen Dialog über einen Toratext.
So wird ein Text über »Tza’arat«, den weißen Ausschlag auf der Haut (3. Buch Mose 13–14), kein langweilig-dozierender Exkurs durch verschiedene Erklärmodelle der Kommentatoren. Der Leser erfährt vielmehr etwas über die »Grübel-Isolation«, in die der »Befallene« gesteckt wird, um sich über seine Taten Gedanken zu machen. Traditionell wird dieser Ausschlag als äußeres Zeichen für Verfehlungen gewertet. Awraham wird an anderer Stelle als »Geschenk-Hasser« beziehungsweise »Geschenk-Fasser« porträtiert; Noach könnte ein »Relativ-Zaddik« sein.
Das sind sprachliche Bilder, die beim Leser hängenbleiben und nachwirken – und im kommenden Jahr einen ganz anderen Blick auf die heiligen Texte ermöglichen. Shlomo Hofmeister, Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, schrieb über den Leiner: »Dieses Buch (...) wird in seinem inhaltlichen Anspruch und seiner literarischen Qualität wahrscheinlich von keiner vergleichbaren deutschsprachigen Publikation der letzten 75 Jahre übertroffen.«
Liest man die Tora mit derartigen Denkanstößen und Kommentaren, wird es niemals langweilig, die Fünf Bücher Mose nach Simchat Tora wieder von vorne zu beginnen.
www.derleiner.com