Der amerikanische Spielfilm Yentl von und mit Barbra Streisand, der auf einer Kurzgeschichte von Isaac Bashevis Singer basiert, handelt von einer jungen jüdischen Frau, die unbedingt Abschnitte des Talmuds studieren wollte. Um dieses Ziel zu erreichen, musste Yentl sich als Mann verkleiden.
Das Mädchen nannte sich Anschel und konnte nun in einer Jeschiwa »im Meer des Talmuds schwimmen«, wie man es poetisch ausdrücken könnte. Doch der Film verdeutlicht ein ernstes Problem im gesetzestreuen Judentum, das noch vor 100 Jahren nur durch Privatunterricht oder eine Maskerade zu lösen war.
Midrascha In unseren Tagen hätte Yentl es nicht mehr nötig, ihr Frausein zu verleugnen. Sie könnte auf eine Midrascha – so bezeichnet man heute ein Lehrhaus für Frauen – gehen und in diesem Institut zusammen mit gleichgesinnten Kolleginnen den Talmud studieren. Gewiss, nicht in jeder größeren Stadt gibt es eine Midrascha, aber die Zahl dieser Lehrhäuser hat zur Überraschung vieler Leute in den letzten Jahren erheblich zugenommen.
In unseren Tagen hätte Yentl es nicht mehr nötig, ihr Frausein zu verleugnen.
Midrascha Warum gab es früher die Jeschiwa, aber keine Midrascha? Weil Frauen grundsätzlich vom Gebot des Toralernens befreit sind (Maimonides, Hilchot Talmud Tora 1,1). Über das Phänomen der Midrascha kann man in der Tat staunen; jemand hat sogar von einer Revolution auf dem Gebiet des Torastudiums gesprochen.
Wie ist die Neuerung halachisch zu rechtfertigen?
Unter Berufung auf Rabbiner Joseph B. Soloveitchik hat Elieser D. Jesselson, Vorsitzender der Leitung des Instituts für fortgeschrittene Torastudien an der Bar-Ilan-Universität, erklärt, dass Frauen zwar von der Mizwa des Toralernens befreit sind, nicht aber vom Gebot der Gottesliebe. Und in der Gegenwart könne niemand die gebotene Liebe zu Gott ohne ein Studium der talmudischen Literatur richtig praktizieren.
Niveau Das Niveau der Torastudien einer Frau sollte dem ihrer sonstigen akademischen Studien entsprechen, befand Jesselson. An der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan gibt es mittlerweile eine Midrascha. Sie bringt seit einigen Jahren regelmäßig eine hebräische Zeitschrift heraus, in der Frauen die Ergebnisse ihrer talmudischen Untersuchungen veröffentlichen.
Die nächste Ausgabe ist für Schawuot 2020 geplant.
Der Name der Publikation lautet »Drisha« (»Untersuchung«). Das vierte und jüngste Heft hat einen Umfang von 165 Seiten und verdient Beachtung in Kreisen der Tora-Studierenden, aber auch weit darüber hinaus.
Mikwe Denn die Autorinnen behandeln ganz verschiedene Themen. Es mag genügen, vier Beispiele zu nennen: Wie ist die Regel zu verstehen, dass bei Gericht nicht eine schriftliche, sondern nur eine mündliche Zeugenaussage gültig ist? Welche Aufgaben hat eine Mikwe-Frau zu erfüllen? Wie ist ein Widerspruch aufzulösen, den man in der ersten Mischna im Traktat »Chagiga« erkennen kann? Und welche Art der Freude ist an den jüdischen Feiertagen geboten?
Die Ergebnisse der vielen subtilen Untersuchungen können an dieser Stelle nicht ausführlich referiert werden. Tiefgehende Diskussionen sind im Lehrhaus zu führen. Definitiv lässt sich aber sagen, dass sich die Veröffentlichung der neuen Abhandlungen gelohnt hat. Nicht nur Frauen werden »Drisha« mit Gewinn und Genuss lesen.
Die Zeitschrift wird allerdings nicht im Buchhandel vertrieben. »Drisha« wird auch nicht von der Midrascha an der Bar-Ilan-Universität verkauft. Man kann aber das Heft sowie die früheren Ausgaben bei der Hochschule anfordern. Die nächste Ausgabe ist für Schawuot 2020 geplant.
Texte der Zeitschrift »Drisha« können über die E-Mail-Adresse biu.midrasha@gmail.com angefragt werden.