Dass der Nahe Osten nicht unbedingt Weltmarktführer ist, wenn es um Religionsfreiheit geht, weiß jedes Kind. Dass allerdings Israel zu den 20 Staaten weltweit gehören soll, in denen religiöse Minderheiten mit beträchtlichen Schikanen zu kämpfen haben, überrascht dann doch. Eine 198 Länder umfassende vergleichende Studie des renommierten amerikanischen Pew Research Center, die Mitte Juli veröffentlicht wurde, stellt aber genau diese These auf.
Glaubensrichtung In 52 Ländern seien im Jahr 2017 die Anhänger bestimmter Glaubensrichtungen stark oder sehr stark in der Ausübung ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt gewesen – zwölf mehr als noch 2007. Israel gehört laut Pew Research zu den 20 restriktivsten Ländern weltweit.
Das sehr rigide Zahlenschema nimmt wenig Rücksicht auf die Eigenheiten von Ländern.
Auf einer Skala von 0 (keine Einschränkungen) bis 10 (sehr restriktiv) rangiert Israel in der Kategorie »Gesetze und Politik« mit einem Wert von 7,7 weit hinten. 2007 hatte der jüdische Staat hier noch einen Wert von 6,6 erzielt. Was die »sozialen Feindseligkeiten im Zusammenhang mit religiösen Normen« anbelangt, sei Israel sogar das fünftschlechteste Land weltweit, findet die Pew-Studie heraus.
Syrien Bei den »Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften« landet der jüdische Staat auf Platz sechs – und schneidet noch schlechter ab als das Bürgerkriegsland Syrien, in dem seit 2011 ein brutaler Konflikt tobt, in dem Religion eine tragende Rolle spielt.
Vertraut man dem Zeugnis des Pew Center, ergeht es religiösen Minderheiten in Bezug auf ihre politische und rechtliche Situation in Ländern wie dem Irak und selbst Libyen besser als in Israel, und das, obwohl dies Gemeinwesen sind, aus denen die jüdische Bevölkerung vor nicht allzu langer Zeit komplett vertrieben wurde. Zum Vergleich: Fast ein Viertel aller Israelis ist nicht jüdischen Glaubens und genießt volle staatsbürgerliche Rechte.
Fragenkatalog Wie erklärt es sich, dass Israel so schlecht abschneidet? Pew Research untersucht alljährlich Gesetze und Praktiken zum Umgang mit Religionen weltweit. Das Institut erhebt aber keine eigenen Daten, sondern wertet lediglich anhand eines Fragenkatalogs bestehende Studien von Nichtregierungsorganisationen, Regierungen sowie den Vereinten Nationen aus.
Drei Viertel aller 198 in die Studie eingeschlossenen Länder haben die Religionsfreiheit in ihren Verfassungen verankert, allerdings nur 27 ohne Einschränkungen oder Zusätze. In mehr als der Hälfte aller Länder (53 Prozent) werde die freie Religionsübung staatlicherseits eingeschränkt.
Nahöstlicher Musterschüler ist für die Pew-Forscher Saudi-Arabien.
Die Intoleranz komme aber auch aus der Gesellschaft selbst und den jeweiligen Mehrheitsreligionen, die Minderheiten ablehnten, so die Studie. Sie zitiert einen Bericht des U.S. State Department zur Religionsfreiheit, der vermerkt: »In Israel gaben Autofahrer, die am Schabbat in der Nähe von ultraorthodoxen jüdischen Vierteln fuhren, an, Opfer von Belästigungen geworden zu sein.«
Solche Formen der religiösen Intoleranz hätten sich in Israel im vergangenen Jahrzehnt kaum zum Besseren gewandelt, schlussfolgert der Pew-Bericht. Bekam das Land für 2007 noch die schlechteste Note (10) in der Kategorie »Feindseligkeiten wegen Missachtung religiöser Normen«, war es diesmal eine 9.
Vergleich Allerdings stellt sich hier die Frage, ob man Konflikte um das Autofahren am Schabbat vergleichen kann mit den Brandanschlägen auf koptische Kirchen in Ägypten.
Nahöstlicher Musterschüler ist für die Pew-Forscher in dieser Kategorie Saudi-Arabien. Dort habe man sich, was die gesellschaftliche Toleranz von religiösen Minderheiten angeht, von 10 auf 4 gesteigert. Doch die starre Einstufung von Ländern in einer Skala von 1 bis 10 wirkt so aussagekräftig wie der Vergleich eines Moselrieslings und eines Barolo auf der Parkerschen 100-Punkte-Skala: Erhalten beide vom Tester 90 Punkte, heißt das noch lange nicht, dass sie gleich gut schmecken.
Das sehr rigide Zahlenschema der Sozialforscher von Pew nimmt wenig Rücksicht auf die Eigenheiten von Ländern. Es schert alle über einen Kamm und nivelliert offenkundig vorhandene Unterschiede. Dennoch sind einige grundlegende Erkenntnisse der Studie interessant: Die Zahl jener Staaten, in denen Religionsgruppen in hohem Maß gesellschaftlichen Anfeindungen ausgesetzt sind, ist im vergangenen Jahrzehnt signifikant gestiegen.
Antisemitismus Der Bericht konstatiert auch einen deutlichen Anstieg des Antisemitismus. Weltweit sahen sich Juden in 87 Ländern Bedrohungen aufgrund ihrer Religion ausgesetzt. Damit ist das Judentum die am drittmeisten angefeindete Glaubensgemeinschaft weltweit – gerade im Nahen Osten.
Die Pew-Studie wird seit 2009 im jährlichen Rhythmus veröffentlicht. Sie stellt auch einen »Social Hostilities Index« auf, in dem einzelne Länder danach bewertet werden, wie frei in ihren Gesellschaften die Religionsausübung ist und wie stark die Feindseligkeiten gegenüber Glaubensgemeinschaften sind.
Das Judentum ist nach der Erhebung die am drittmeisten angefeindete Religionsgemeinschaft.
Kleidung Zunehmende Einschränkungen für religiöse Gruppen gebe es auch in Europa, so der Bericht. In 20 europäischen Ländern seien seit 2007 bei »religiöser Kleidung« Restriktionen erlassen worden, zum Beispiel Verbote von Kopftuch und Burka. Damals hatten nur fünf Staaten derartige Vorschriften.
Immerhin hätten die Spannungen und Gewalttaten zwischen den Religionsgemeinschaften selbst im Berichtszeitraum nachgelassen. 2017 habe es in 57 Ländern solche Auseinandersetzungen zwischen religiösen Gruppen gegeben, 34 weniger als 2007.