Jedes Jahr, wenn wir die Kerzen auf der Chanukkia angezündet haben, stimmen wir das Lied »Maos Zur« an. Und wenn wir über diesen wundervollen Pijut, das religiöse Gedicht aus dem 13. Jahrhundert, nachdenken, dann können wir leicht erkennen, wie die Worte des Textes den Geist der Chanukkazeit zum Ausdruck bringen.
Maos Zur wird Mordechai Ben Isaac Halevi zugeschrieben, der auch einige bekannte Schabbatmelodien komponiert haben soll. Die Situation des Autors und die Zeit, in der er lebte, spiegeln sich im Lied wider. Mordechai Halevi lebte in einer turbulenten Zeit, als viele der Gemeinden des Rheinlandes wie seine eigene in Mainz während der Kreuzzüge zerstört wurden.
Um in Zeiten der Dunkelheit Hoffnung zu geben, erzählt das Lied die jüdische Geschichte in poetischer Form und feiert die Befreiung von vier alten Feinden: Pharao, Nebukadnezar, Haman und Antiochus. So ist das Thema von Maos Zur ein vertrautes: G’ttes unfehlbare Erlösung des Volkes Israel. Nach einer Eröffnungsstrophe, die G’tt heute und für immer Danksagung verspricht, erinnert sich der Dichter an vier Momente g’ttlicher Intervention in chronologischer Reihenfolge: Ägypten, Babylonien, Persien und die Griechen in der Chanukkageschichte.
Jerusalem Diese Geschichte begann im Jahre 168 v.d.Z., als der jüdische Tempel in Jerusalem von syrisch-griechischen Soldaten erobert und der Verehrung des Gottes Zeus gewidmet wurde. Ein Jahr später wurde die Ausübung der jüdischen Religion verboten. Nach dem langen Kampf einer Familie, die als Makkabäer bekannt wurde, gelang es schließlich, die Griechen zu besiegen und den Tempel neu einzuweihen. Als die Makkabäer zum Tempel zurückkehrten, war dieser schändlich verunreinigt worden, um fremde Götter zu verehren. Sogar Schweine waren dort geopfert worden. Dadurch war die heiligste Stätte der Juden entweiht worden. Doch die jüdischen Truppen waren entschlossen, den Tempel in seinem früheren Glanz wiederherzustellen, und begannen mit dem Neuanzünden der Menora.
Vor nicht allzu langer Zeit, als der ehemalige US-Botschafter in Tschechien, Norman Eisen, noch im Amt war, hielt er eine Versammlung in der Petschek-Villa in Prag ab, die einst einer jüdischen Bankiersfamilie gehört hatte. Sie dient seit 1948 als Residenz des Botschafters. In seiner Ansprache stellte Eisen eine Verbindung zwischen der Wiedereinweihung des Tempels und der Geschichte der Juden Prags heute her.
Er nannte das Haus Petschek als Beispiel für einen Ort, der von den Nazis verunreinigt worden war, er sprach von der Rückkehr der Juden – und wie diese dazu beitrug, den Ort von der Unreinheit, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeblieben war, zu säubern. Das Licht, sagte er, wurde an einen Ort zurückgebracht, der wegen des dort Geschehenen dunkel geworden war. Jeder jüdische Mensch und jede jüdische Familie, die heute in Prag leben, seien eine Hilfe, um das Licht zu verstärken.
Genau wie in Maos Zur, das wir an Chanukka singen, gab es während des Zweiten Weltkriegs und auch in der Nachkriegsgeschichte mehrere Bedrohungen für das Judentum, die nicht nur eine physische, sondern auch eine geistige Gefahr für die Existenz unseres alten Volkes darstellten.
Kommunismus Viele Menschen haben in kommunistischen Zeiten die harte Erfahrung gemacht, die Synagoge nicht besuchen zu können, weil das sie oder ihre Familien gefährdet hätte. Wir sind heute glücklich, solche Dinge nicht mehr erleben zu müssen, doch dafür stehen wir vor anderen Herausforderungen.
Die Hellenisten waren sehr erfolgreich in ihrer Kampagne gegen das Judentum. Viele Juden legten damals griechische Kleidung an, sie trugen griechische Namen und ihr Haar in griechischem Stil. Sie waren glücklich, als Griechen zu gelten. Die griechische Kultur war sehr aufregend, weil sie die Menschen auf körperlicher, aber auch intellektueller Ebene faszinierte. Durch das Verbot der Tora und die Zerstörung des Tempeldienstes wurde versucht, die Verbindung zwischen den Juden und G’tt zu trennen.
Das englische Wort »face« für Gesicht hat seinen Ursprung im lateinischen Wort »facies«, das »oberflächlich« bedeutet, während das hebräische Wort für das Gesicht »Panim« bedeutet – also »innen«. Dies spiegelt zwei widersprüchliche spirituelle Ansichten wider. Aus jüdischer Sicht ist das schönste Gesicht eines, das innere Schönheit und Bedeutung enthüllt und nicht oberflächliche äußere Schönheit, wie es die griechische Ansicht suggeriert.
Eine unserer heutigen Herausforderungen ist, dass unser Urteil oft nicht von unserem großen jüdischen Verständnis beeinflusst ist, sondern von einer Perspektive, die von unserer Umgebung geprägt wurde. Auf diese Weise scheint es, als ob frühere Regimes erfolgreich waren. Wie die Griechen, die kamen und den Tempel verunreinigten, bleibt der Rückstand aus diesen schwierigen Zeiten im Volk. Und genauso, wie die Makkabäer den Tempel wieder einweihten, müssen wir unsere jüdische Perspektive wiederherstellen.
Hochzeitsnacht Die Hellenisten verboten die Beschneidung, das Einhalten des Schabbats und das Torastudium und schafften den jüdischen Kalender ab. In einem Versuch, einen der heiligsten Aspekte des Judentums zu zerstören, wurden sogar jüdische Bräute gezwungen, sich während der Hochzeitsnacht dem örtlichen griechischen Gönner zu unterwerfen, um die Reinheit des jüdischen Familienlebens und der Moral zu zerstören.
Doch gerade die Dinge, die die Griechen verboten hatten, sind diejenigen, die unsere jüdische Perspektive wiederherstellen. Durch das intensivere Studium der Tora erleuchten wir unsere Umgebung. Indem wir die Moral des Judentums bewahren, zerstören wir alle Reste früherer Regimes, die noch übrig sind. Und indem wir die Reinheit des jüdischen Familienlebens bewahren, sorgen wir für unsere Zukunft.
Wiedereinweihung ist ein wichtiger Bestandteil von Chanukka. Die Priester verliehen allen wichtigen Aspekten des Judentums eine neue Weihe. Der wichtigste davon ist unser Glaube an G’tt, wie schon der Name Makkabi aussagt: »Mi Kamocha Baelim Haschem« (»Wer ist wie Du unter den himmlischen Mächten, Haschem?«). Unser individuelles Ziel wird erreicht, wenn wir die g’ttliche Präsenz in unserem Leben erkennen. Da für die Makkabäer die Hand G’ttes mit dem kleinen Krug reinen Öls genug war, um die Chanukkia zu entzünden, sollten wir die Präsenz G’ttes im Alltag erkennen und ihre kleinen »Wunder« sehen.
Wenn wir die essenziellen Anliegen des Judentums in einer aufrichtigen und wahrheitsgemäßen Weise »wiedereinweihen«, werden unsere Chanukkialichter ein viel besseres Licht auf unsere Umgebung werfen – und auch uns in besserem Licht erscheinen lassen.
Der Autor ist Student am Rabbinerseminar zu Berlin und Kantor der Altneuschul in Prag.