Wir lesen in letzter Zeit viel über die Themen Schwarzgeld und Steuerhinterziehung. Das hat damit zu tun, dass in den vergangenen Wochen zahlreiche Prominente der Steuerhinterziehung überführt wurden und reumütig bekennen mussten, wie falsch es gewesen sei, große Summen bei Schweizer Banken gebunkert zu haben.
Besonders bitter wird es, wenn diese Menschen eine Vorbildfunktion innehatten – sei es im Sport, im Journalismus oder in der Politik. Menschen, die nicht so bekannt und gut betucht sind, schauten oft zu ihnen auf – und nun sind es ihre Helden, die gefallen sind und unter einer Lawine von Anschuldigungen versinken. Das Vertrauen in sie ist verloren, und vieles von dem, was sie öffentlich gesagt oder getan haben, wird angezweifelt und infrage gestellt.
Doch warum stolpern solche angesehenen und erfolgreichen Leute? Sie haben doch genug Geld, sollte man meinen – darum erscheint es umso erstaunlicher, dass sie trotzdem hohe Beträge im Ausland verstecken.
vorbilder Aus jüdischer Sicht möchte ich das Problem unter drei Gesichtspunkten betrachten. Erstens stellt sich die Frage, inwieweit Vorbilder für uns wichtig sind und was passiert, wenn sie Fehler machen. Zweitens frage ich nach den Konsequenzen des Steuerbetrugs und seinen Folgen für die Allgemeinheit. Und drittens geht es mir darum, aufzuzeigen, welchen Ausweg es gibt aus der Gier, die Menschen dazu bringt, immer mehr Geld anzuhäufen, auch wenn es gegen das Gesetz verstößt.
Zunächst zur Frage der Vorbilder: Eine moralische Instanz zu sein, ist eine enorme Herausforderung. Menschen, an denen wir uns orientieren, haben kein leichtes Leben. Sie stehen im Vordergrund und werden oft zu Rate gezogen. Doch sie bleiben Menschen, mit all ihren guten und ihren schlechten Seiten.
Sehen können wir das an den Vorbildern in der Tora. Nehmen wir Mosche: Dieser Mann vermochte es, mit Gott von »Mund zu Mund« zu reden. Aber auch ein so weiser und bescheidener Mann hat einen schweren Fehler begangen. Er schlug mit seinem Stab gegen einen Stein – aber nicht nur einmal, wie Gott es ihm befohlen hatte, um Wasser hervorzubringen, sondern zweimal, aus Wut auf das gegenüber den Wundern Gottes blinde Volk. Die Strafe war verheerend: Mosche durfte nach 40-jähriger Wanderschaft durch die Wüste das Gelobte Land nicht betreten und starb auf der »falschen Seite« des Jordan.
Dieses Beispiel aus der Tora soll uns zeigen, dass es keine perfekten Menschen gibt. Selbst die Weisesten begehen Fehler und müssen dafür geradestehen – seien es Ungehorsam gegen Gott oder das Bankkonto in der Schweiz.
Schaden Problematischer ist der Schaden, der durch Steuerhinterziehung entsteht. Denn durch die Habgier Einzelner wird die Allgemeinheit geschädigt. Es sind Habgier und Neid, die in der Bibel und der jüdischen ethischen Literatur verboten und besonders in den Sprüchen Salomons (zum Beispiel Mischle 3,31 und 14,30) sehr missbilligend beschrieben werden. Gier wird bei den Propheten als Wurzel aller sozialen Ungerechtigkeit angesehen (Micha 2,1 und Habakuk 2,9).
Die Weisen aus der Zeit des Talmud und mittelalterliche Denker verweisen auf das Zehnte Gebot: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut«. Demnach ist es der Neid, der zu allen anderen über ihm stehenden Vergehen führen kann. Im Buch Kohelet (5,9) finden wir eine noch eindeutigere Aussage zum Thema Neid: »Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben«. Der Midrasch Kohelet Rabba (1,13) ergänzt: »Wer hundert hat, der will zweihundert haben.«
In anderen Worten: Es ist die Gier, die einem hier zusetzt. Sie wird zum Ziel ohne Anfang und Ende. Sie kann ein gesamtes Lebenswerk zerstören. Und das führt mich zu meinem dritten Punkt: Ohne Erziehung und Unterweisung ist der Mensch dem Tier gleich. Darum ist es unsere Aufgabe, ein Leben lang zu lernen und auch Kinder zu unterweisen.
Wohltätigkeit Im Judentum tun wir das unter anderem durch das Studium der Schriften. Dort lernen wir auch etwas über die Möglichkeiten der Zedaka. Denn ein Weg, der Gier zu entgehen, ist, die Gebote der Zedaka zu befolgen. Zedaka kann man mit Mild- oder Wohltätigkeit anderen Menschen gegenüber beschreiben. Wird man durch Neid, Missgunst und Gier verblendet, so kann es eine einfache Spende sein, die das Herz wieder zu öffnen vermag.
Und das Vorbild für Zedaka ist Gott höchstpersönlich. Wir entnehmen das aus dem 5. Buch Mose 10,18: »Und (Gott) schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass Er (Gott) ihnen Speise und Kleider gibt«. Dass Gott diese Zedaka auch von uns fordert, lesen wir im 5. Buch Mose 15,7: »Wenn einer deiner Brüder arm ist in irgendeiner Stadt in deinem Lande, das der Herr, dein Gott, dir geben wird, so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder.«
Teufelskreis Neid und Gier isolieren uns von anderen. Doch wenn wir uns darauf einlassen, uns der Not unseres Nächsten bewusst zu werden und ihm zu helfen, können wir diesen Teufelskreis durchbrechen. Dann schaffen wir es, nicht nur an uns zu denken, sondern auch an andere. Menschen neigen manchmal dazu, extreme Sichtweisen oder Verhalten anzunehmen. Sei es aus Angst oder einem Irrtum, aus dem sie manchmal selbst nicht mehr herausfinden. Wir können uns davor nur schützen, indem wir die Überlegungen unserer Weisen und die Gebote der Tora studieren – und sie in der Praxis anwenden.
Manche würden zum Thema Gier nicht nur das Studium jüdischer Quellen, sondern auch weltliche Philosophen und Denker empfehlen, was sicherlich nicht falsch ist. Wichtig ist aber, dass wir nur durch unsere Einstellung und unser Bekenntnis dazu, soziale Wesen zu sein, davor bewahrt werden, dem Sog von Habgier und Neid zu verfallen. Und schließlich ist klar: Beim Thema Steuerhinterziehung gilt das Prinzip »Dina de Malchuta Dina« – das Gesetz des Landes darf nicht gebrochen werden.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.