Rabbi Boteach, welche jüdischen Weisheiten können in der aktuellen Debatte über Familie und Erziehung als Orientierung dienen?
Das Judentum ist eine Sammlung von Werten, die das Leben bereichern. Es lehrt uns, inspirierte Kinder großzuziehen. Wenn man sich im Leben höhere Ziele setzt, ist man produktiver und erfolgreicher.
Vermittelt das Judentum dieses Wissen ausreichend?
Ich denke, dass die Krise des Judentums darin begründet ist, dass es die Menschen nicht lehrt, wie sie das Leben meistern sollen. Der Dalai Lama oder Prediger Rick Warren haben Millionen Anhänger, und es werden immer mehr. Sie sprechen über Religion und Spiritualität, über den Sinn des Lebens und wie man glückliche Beziehungen führt sowie seine Kinder besser erzieht. Das Judentum hingegen lehrt, zur Synagoge zu gehen, Tefillin zu legen und den Schabbat zu halten.
Aber das ist doch auch wichtig.
Ja, schon. Aber wenn wir vermitteln könnten, wie Judentum hilft, das spirituelle und materielle Potenzial zu verbessern, dann würde unsere Religion wirklich wachsen. Wenn man säkulare Juden – vor allem auch junge Menschen – wieder an ihre Religion heranführen will, muss man zeigen, dass Judentum nicht nur ein Erbe oder Geburtsrecht ist, sondern ein besseres Leben ermöglicht.
Sie wenden sich aber auch an Nichtjuden.
Ja, doch ich fordere sie nicht zu jüdischen Ritualen auf. Sie sollen den Schabbat nicht so halten wie wir. Ich habe in den USA zum Beispiel ein Programm initiiert, mit dem wir der nichtjüdischen Gesellschaft die Idee des Schabbats vermitteln: Freitagabend als Familientag. Zumindest einmal in der Woche sitzen alle gemeinsam bei Tisch, Computer und Fernseher sind abgeschaltet, man kommt zusammen. Das ist jüdisch, aber jeder sollte es tun. Endlich wieder miteinander reden. Ist jemand dagegen, dass Eltern nicht ans Handy gehen, während sie mit ihren Kindern sprechen?
Sie betonen die Bedeutung dieser Gespräche. Worum sollte es dabei gehen?
Mit Sicherheit nicht um den Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder Ärzte, Anwälte oder Politiker werden! Vielmehr muss im Mittelpunkt stehen, ein guter Mensch zu sein. Einer, der versucht, viel zu geben, selbstlos zu sein, andere zu sich nach Hause einzuladen, Kranke zu besuchen, sich den Eltern gegenüber respektvoll zu verhalten. Ein schlechter Mensch denkt nur ans Materielle, lebt für Geld und Ego. Unsere Kinder müssen die richtigen Werte mitbekommen. Sie sollten neugierig sein.
Das ist auch Aufgabe der Schulen.
Die Schulen rufen keinen intellektuellen Hunger hervor. Die Kinder bestehen dort vielleicht Prüfungen, aber lesen zu Hause keine Zeitungen mehr, stellen keine Fragen, sitzen zu oft vor dem Fernseher oder machen Computerspiele. Darüber müssen wir mit ihnen reden. Und: Es gibt nichts Besseres, als unseren Kindern Werte vorzuleben.
Mit dem US-Rabbiner, Autor, TV- und Radiomoderator sprach Detlef David Kauschke.