Am Freitag, den 28. März, beginnt in Israel die Sommerzeit – in Deutschland werden die Uhren zwei Tage später, am 30. März, um eine Stunde vorgestellt. Die damit verbundenen Zeitverschiebungen können einen praktizierenden Juden aus dem Konzept bringen: Denn die Zeitumstellung beeinflusst auch seine innere religiöse Zeiteinteilung.
In Deutschland wurde die Sommerzeit erstmals 1916 eingeführt, in Israel gilt sie seit der Staatsgründung 1948. Der um eine Stunde vorgezogene Tagesbeginn beeinflusst das Morgengebet, besonders in den frühen Frühlingstagen und im späten Herbst. Deshalb gibt es in Israel verständnisvolle Arbeitgeber, die ihren Angestellten die Möglichkeiten geben, das Gebet während der Arbeitszeit zu verrichten.
pessach Auch Pessach kann unter der Sommerzeit leiden: Wenn das Fest, wie in diesem Jahr, erst Mitte April gefeiert wird, beginnt der Sederabend sehr spät. Die Pflicht des Mazzotessens wird bei Einbruch der Nacht wirksam. Besonders Kinder sind dann schon müde, und die Kleinen schlafen kurz nach dem Ma Nischtana ein. Juden, die im Monat Elul vor den Hohen Feiertagen die Selichot sprechen, sind ebenfalls beeinträchtigt, da sich die Gebetszeiten dadurch noch weiter nach hinten schieben.
Der religiöse jüdische Mensch hat, wenn man es so sagen darf, zwei Uhren, die »weltliche« und die »religionsgebundene«. Es gibt Gesetze im Judentum, die an Stunden während des Tages gekoppelt sind. Zum Beispiel darf das Morgengebet nur bis einschließlich zur 4. Stunde (Schaa rewiit) gesagt werden. Die Zeitspanne von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, in der Zeit des Lichtes, wird durch die Zahl 12 geteilt. Das bedeutet: Das Schacharit darf nur bis einschließlich 4/12 gebetet werden. Hier sehen wir, dass nach der Halacha eine Stundeneinheit nicht genau 60 Minuten betragen muss, sondern dass ein Zwölftel unterschiedlich lang ausfallen kann. Im Winter kann es nur 45 Minuten und im Sommer bis zu 75 Minuten betragen.
Vor einiger Zeit telefonierte ein frommer Jude mit einem Nichtjuden per Skype. Während des Gesprächs erwähnte der Jude, er habe nur noch 20 Minuten bis zum Minchagebet, und erklärte, dass Mincha kurz vor Sonnenuntergang gebetet werden muss. Der Gesprächspartner war erstaunt, wie genau der Jude wusste, wann Sonnenuntergang ist. Der Jude sah darin nichts Ungewöhnliches. Aber das Erstaunen seines Gesprächspartners machte ihm bewusst, wie unterschiedlich der Bezug zur Zeit sein kann. Ein Nachmittag endet im Allgemeinen gegen 18 Uhr, für einen frommen jüdischen Menschen aber mit dem Sonnenuntergang, denn er ist an die Zeiten der Nacht und des Tages gebunden.
Mizwot Im ersten Buch Mose 1,15 steht: »Und G’tt nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht, und es ward Abend, und es ward Morgen, ein Tag«. In diesem Vers steht die Reihenfolge Abend, Morgen und Tag. Wir entnehmen daraus, dass der Abend vor dem Morgen steht und der Tag mit dem Abend, dem Sonnenuntergang, beginnt. Die genaue Bestimmung, wann Abend und wann Morgen ist, ist im Judentum von großer Bedeutung, da es viele verschiedene Mizwot (Pflichten) gibt, die tageszeitenabhängig sind. Das Morgengebet (Tefilat Schacharit) darf nur zum Zeitpunkt Alot haSchachar begonnen werden, also nur in einer kurzen Zeitspanne vor Sonnenaufgang, jedoch nicht zu früh, da es sonst noch in die Nacht hineinreichen würde. Auch der Schabbatausgang mit der damit verbundenen Hawdala muss in der Dunkelheit, wenn drei Sterne am Himmel erschienen sind, geschehen.
Um auf das Skype-Gespräch zurückzukommen – der Jude antwortete: »Ich ticke anders!« Da wir aber auf Zusammenhalt innerhalb unseres Volkes und auf gute Zusammenarbeit mit anderen Gesellschaften angewiesen sind, brauchen wir Kompromisse. Sommerzeit steht für mehr Nutzung von Sonnenlicht, Produktionssteigerung und bessere Energiebilanzen – wenn sich die Wissenschaft auch streitet, wie effektiv die Zeitumstellung ist. Da wir die Sommerzeit aber nun einmal haben, sollten wir religiösen Menschen Toleranz entgegenbringen und ihnen entgegenkommen, damit sie in der Lage sind, beide Uhren ticken zu lassen.