Im Moment dreht sich in Deutschland alles um die »Bundes-Notbremse« und die Beratungen über Details des Lockdown-Beschlusses in Bundestag und Bundesrat.
Warum ist man nicht nur hierzulande, sondern in Europa insgesamt so wenig hoffnungsfroh? Liegt es daran, dass die EU die Impfbestellung so schlecht organisiert hat? Wie kommt man wieder zu einer Haltung, die Hoffnung anstatt Angst vermittelt? Und wie kann Religion dabei helfen? Ich habe diese Fragen mit meinen Studenten diskutiert und möchte hier einige persönliche Meinungen und Erfahrungen teilen.
LEBENSZEIT Wir sehen, dass die Welt sich verändert und dass auch wir selbst uns in diesem Zuge verändern müssen. Wie leben wir in dieser Zeit mit minimierten Kontaktmöglichkeiten? Als Erstes ist uns klar, dass wir in unserer »Minifamilie« nicht allein dastehen. Ich bin so dankbar, meinen Alltag zusammen mit einem geliebten Menschen teilen zu dürfen. Umso länger die Zeit des Zu-Hause-Seins andauert, desto mehr wird mir deutlich, wie wertvoll diese gemeinsam verbrachte Lebenszeit für mich doch ist – einfach aus dem Wissen heraus, dass es in dieser Zeit nur einer flüchtigen Ansteckung bedarf, um das Leben zu verlieren.
Unser Zuhause ist für mich wie eine Insel der Selbstbestimmtheit und gleichzeitiger Sicherheit geworden. Unsere Schabbatot sind in dieser Phase »der« Lichtblick der Woche. Er ist noch wichtiger, noch mehr Urlaub und Geschenk für uns geworden als vor der Corona-Zeit. Er stärkt und nährt unsere Seelen, wie keine andere Reise es bisher vermochte.
EUROPÄISCHE UNION Viele von uns fragen sich jetzt: Hat die EU Fehler gemacht? Die Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten. Wie bei jeder Katastrophe werden zunächst viele Fehler gemacht, und es braucht Zeit, bis man das Problem wirklich versteht und analysieren kann, um dann eine maßgeschneiderte Lösung zu finden. Schlagwörter wie Lockdown und Notbremse werden zurzeit in Gesetzesentwürfen und in den Medien diskutiert, wobei sie die Bürger nur weiter verunsichern und noch mehr Angst und Zweifel schaffen.
Ganz offen gesagt, ich halte es für ein Desaster, was zurzeit auf der politischen Bühne passiert. Das Einzige, was die EU jetzt dringend tun sollte, ist, so viele Menschen wie möglich zu impfen. Wären sie nur dem Beispiel Israels gefolgt, anstatt es zu kritisieren!
Wie kommt man in dieser Situation wieder zu einer Haltung, die Hoffnung statt Angst vermittelt? Und was hat das alles mit Religion zu tun? Mehr als man im ersten Augenblick erkennen mag.
MESUSOT Die Mesusot in meiner Wohnung habe ich neu entdeckt. Sie jetzt öfter am Tag zu berühren, erinnert mich daran, dass es etwas Größeres gibt als unsere Einschränkungen. Es gibt eine wunderbar geschaffene Welt und das Leben an sich. In diesen Tagen hilft mir die Dankbarkeit dafür, dass ich gesund bin, an eine Zukunft zu glauben, wie es sie schon zur Zeit der Schöpfung gab. Das Leben ist heilig und ewig, solange Haschem (G’tt) es so will.
Die Zeichen dieser Zeit sind für mich eine Aufforderung zur Umkehr, die Natur zu respektieren und Haschems Willen zu folgen, »Herr« in dieser Welt zu sein und nicht kopfloser Narr. Die Liebe an den Tag zu bringen und nicht ihr unnützes Gegenteil. Endlich habe ich genug Zeit, nach dem Essen, in Ruhe und ohne Hast, das Birkat Hamason zu beten, der Bedeutung nachzusinnen und voller Zuversicht auf das Morgen zu sein.
WUNDER Wissend, wie schlimm diese Zeit für sehr viele Mitmenschen ist, bin ich trotzdem voller Glauben, dass es ein anderes Danach geben wird, weil Haschem diese Welt und unser Leben bestimmt hat durch seine Liebe und Wunder. Die Isolation regt uns an, besser auf andere zu achten und ihnen eine Stütze zu sein.
Auch glaube ich, dass sehr viele Menschen die Notwendigkeit erkennen, sich wieder mit Haschem zu verbinden. Denn nur durch die Kraft seiner Liebe werden wir es schaffen, die Welt und unser Leben zu verändern. Hoffungsvoll bleibt man, indem man sich auf das Gute konzentriert, das es gerade jetzt gibt: die Zeit, zu lernen, sich zu besinnen und Schiurim zu sehen oder zu hören!