In Zeiten der Wirtschaftskrise, aber auch schon bei ökonomischer Unsicherheit, verändern sich normalerweise die Verhaltensmuster in einer Gesellschaft. Menschen überlegen zweimal, für Dinge Geld auszugeben, die sie eigentlich nicht brauchen. Banken haben Angst, Kredite zu vergeben. Wirtschaftsexperten versuchen, herauszufinden, wie die ökonomische Stabilität gewahrt werden kann oder zumindest, wie größere Schäden vermieden werden können.
Der Wassermangel raubt auch vielen Menschen den Schlaf. In einigen Ländern Afrikas fehlt es täglich an trinkfähiger Flüssigkeit, können Felder nicht oder nur unzureichend bewässert werden, oder es gibt kein ausreichend aufbereitetes Wasser für die tägliche Hygiene. Dazu kommen Staaten, in denen die Quellen langsam austrocknen. Falsche Entscheidungen von Unternehmern oder überzogener Wasserverbrauch schaffen allmählich Mangel an dieser so wichtigen Ressource.
Alltag Nach einem mit Feiertagen so gefüllten Monat Tischri, die alle für uns bedeutungsvoll sind, kehrt der Alltag wieder zurück – die erste Woche ohne einen einzigen Feiertag. Jeden Tag gehen wir zur Arbeit, und am Schabbat ruhen wir. Für einen Augenblick hat man das Gefühl, dass die starken Erlebnisse des Tischri spurlos vorübergegangen sind. Das Schofar ist nicht mehr zu hören, die Sukka wurde bereits abgebaut. Palmzweig, Myrten- und Bachweidenzweige sowie Etrog vertrocknen, und selbst die weißen Kittel, mit denen die Torabücher während der Hakkafot an Simchat Tora verdeckt wurden, sind wieder so farbenprächtig wie vor den Feiertagen.
Was ist von den Feiertagen geblieben? In der Zeit, als das Israeliten ihren Lebensmittelpunkt von Ägypten nach Israel verlegte, bekam das Volk im Vorfeld Anweisungen, wie es sich nach dem Betreten des Neulandes verhalten solle: »Denn das Land, dahin Du kommst es einzunehmen, ist nicht wie das Land Mizrajim, von wannen ihr herausgegangen seid, wo Du Deine Saat aussäest und bewässerst, mit Deinen Füßen, wie einen Krautgarten.«
Bewässerung Die Situation in Ägypten war damals sehr komfortabel. Die Wasserquellen waren zahlreich, und es war einfach, über Wasser für die Bewässerung zu verfügen. In Eretz Israel war die Situation jedoch umgekehrt. »Auch ist das Land, dahin ihr ziehet es einzunehmen, ein Land der Berge und Täler; vom Regen des Himmels trinkt es Wasser.« Eretz Israel braucht G’ttes Hilfe. Wenn es regnet, geht es gut, aber wenn nicht, dann ist die Situation besorgniserregend, da die natürlichen Wasserquellen nicht für die Bedürfnisse aller Bewohner ausreichen.
Im Midrasch steht, dass es einige Dinge gibt, die für die Existenz der Welt notwendig sind. G’tt hat die Entscheidung darüber allein getroffen. Zuallererst natürlich die über Leben und Tod und über die Fähigkeit, Kinder auf die Welt zu bringen. Es handelt sich hierbei um zwei zentrale Prozesse im Leben eines Menschen. Außer G’tt kann niemand entscheiden, wann und ob diese Dinge im Leben eines Menschen stattfinden.
Zwei weitere wichtige Bedürfnisse des Menschen betreffen die Wirtschaft: seine Versorgung und der Regenfall. Diese Dinge sind definitiv entscheidend für die Existenz der Menschen auf der Welt.
Schicksal Sukkot ist stark mit der Bedeutung von Rosch Haschana und Jom Kippur verknüpft. Genau wie am Tag des Urteilsspruchs G’tt über uns und unser Schicksal für das kommende Jahr urteilt, genau so wird an Sukkot über den Wasserzustand des kommenden Jahres entschieden. An diese Stelle soll erwähnt werden, dass wir genau deshalb die vier Arten (Lulaw, Etrog, Hadas und Arawa) schütteln. Wir wollen uns für den Regen im vergangenen Jahr bedanken, der so schöne Blüten hervorgebracht hat, und beten, dass im kommenden Jahr das Gleiche geschieht.
Obwohl der Feiertag sehr viel Einfluss auf den Regen hat, verschieben wir das Regengebet auf ein anderes Datum. Viele Juden aus dem ganzen Land waren zu biblischen Zeiten während der Feiertage nach Jerusalem gekommen, um das Pilgergebot zu erfüllen und um die Feiertage im Tempel zu feiern. Die Einwohner Jerusalems haben die Menschen sehr großzügig beherbergt. Diese Pilger kannten keine öffentlichen Transportmittel und waren deshalb viele Tage unterwegs.
Um die Pilger nicht von ihrer Anreise abzuschrecken, haben die Weisen uns angewiesen, erst am letzten Tag des Sukkot-Fests das Regengebet zu sprechen, da dann der Winter beginnt. Aber bis dies vollständig gesagt wird, wird beim Gebet nur erwähnt, dass G’tt für den Regenfall zuständig ist. Erst wenn der letzte Pilger nach einer Wanderschaft, die 15 Tage dauerte, sein Haus erreicht hat, wird am 7. Cheschwan das Regengebet gesprochen. Dort heißt es wörtlich: »Und gib Tau und Regen reich auf der Erde.«
Regengebet Tatsächlich ist Regen für die Existenz der Welt notwendig. Aber gerade nach den Feiertagen kehren wir nicht sofort zum Alltag zurück. Wir müssen dafür sorgen, dass der große Reichtum, den G’tt zu unseren Gunsten ermöglicht hat, tatsächlich seine Empfänger erreicht. Der Monat Cheschwan ist ein Monat ohne Feiertage. Deshalb nannten ihn die früheren Weisen auch Mar (Herr)-Cheschwan. Am 7. Mar-Cheschwan beginnen wir, um Regen zu bitten. Allerdings in Europa wird dieses Gebet erst am 4./5. Dezember zusätzlich gesprochen.
Diese uns als normal erscheinende Tatsache, dass es regnet, erhält hier besondere Aufmerksamkeit. Sie ist keine Selbstverständlichkeit auf der Welt. Es ist nicht zwingend, dass es regnet, sondern von uns wird verlangt, dass wir etwas dafür tun. Wir müssen viel beten, und natürlich müssen wir die Wasserquellen schützen. Die Natur hat ihre festgelegten Regeln.
Aber Eretz Israel hat seine eigenen Gesetze. Der Regenfall hängt in Eretz Israel nicht vom Wetter allein ab, sondern vor allem von unseren Gebeten und unserem Verhalten. Wir beten jeden Tag im zweiten Teil des Schma-Israel-Gebets: »Werdet ihr nun meine Gebote hören, die ich euch gebiete, dass ihr den Herrn, euren Gott, liebet und ihm dienet von ganzem Herzen und von ganzer Seele, so will ich eurem Land Regen geben zu seiner Zeit, Frühregen und Spätregen, dass du einsammelst dein Getreide, deinen Most und dein Öl.«
Das Wissen und Verständnis, wie sehr wir vom Wasser abhängig sind, wird durch das Regengebet eindeutig. Wir beten dafür, dass der Regen folgendermaßen fällt: um uns zu segnen und nicht um uns zu verfluchen, um zu leben und nicht um zu sterben, um zu sättigen und nicht um zu hungern. Jeder von uns weiß, dass zu wenig Regen nicht gut ist, aber eine Flut hilft uns auch nicht.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD).