Sanhedrin

Höher als der König

Im jungen Staat Israel errichteten die Oberrabbiner einst dieses Gebäude als zentralen Sitz. Kritiker fürchteten, es würde ein neuer Sanhedrin. Foto: Flash 90

Im Herzen Jerusalems, in der prestigeträchtigen »King George Street«, steht ein imposantes Gebäude. Der »Heichal Schlomo«, wörtlich der Palast Salomons, wurde in den 50er-Jahren als Sitz des 1921 gegründeten Rabbinats errichtet. Der Wunsch nach einem zentralen und gemeinsamen Ort für die religiöse Führung des jüdischen Volkes in Israel wurde von den ersten Oberrabbinern bereits Anfang des 20. Jahrhunderts während der britischen Mandatszeit geäußert. 30 Jahre später, 1946, erwarb deren Nachfolger, Rabbi Yitzchak Eisik Herzog (1888–1959), das Grundstück in der King George Street, um dort den Sitz des Rabbinats des Staates Israel zu errichten.

Manche sahen darin jedoch einen erneuten Versuch, den Sanhedrin wiederherzustellen. Diese Befürchtung schien auch eine der führenden Persönlichkeiten des litauischen orthodoxen Judentums im 20. Jahrhundert zu teilen: Der Brisker Rav, Rabbi Yitzchok Zev Soloveitchik (1886–1959), rief zum Boykott des Projektes auf.

Der Sanhedrin, ein Rat, bestehend aus 71 Toragelehrten, war die höchste juristische und rabbinische Instanz im Rechtssystem des Judentums. Er wurde im zweiten Jahr nach dem Auszug aus Ägypten auf g’ttlichen Befehl hin gegründet und hielt seine Tätigkeit etwa bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels inne. Das Gremium traf sich in der Lischkat Hagazit, einer der Hallen des Tempels.

Höchste juristische Instanz

Neben seiner Funktion als höchste juristische Instanz war der Sanhedrin auch für die Festlegung des Kalenders zuständig (basierend auf Zeugenaussagen über die Sichtung des Mondes) und zudem die höchste Instanz für halachische Fragen. Nur dieses Gremium konnte über besonders schwerwiegende Vorfälle wie »Nawi Scheker«, einen falschen Propheten, oder »Ir Nidachat«, eine Stadt, die Götzen gedient hat, entscheiden und richten.

In mancher Hinsicht stand der Sanhedrin über dem jüdischen König.

In mancher Hinsicht stand der Sanhedrin sogar über dem jüdischen König. So darf ein jüdischer König keinen Eroberungskrieg beginnen, ohne zuvor die Erlaubnis des Sanhedrin eingeholt zu haben.

Mit der Zerstörung des Zweiten Tempels, genauer gesagt vier Jahre zuvor, wurde der Sanhedrin aufgelöst. Seitdem gab es mehrere Versuche, ihn wieder zu errichten. Der erste dokumentierte Anlauf fand bereits zur Zeit der Gaonim im 11. Jahrhundert statt. In der »Megilat Avijatar«, einer Pergamentrolle aus der Kairoer Geniza, wird beschrieben, wie Rabbi Elijahu HaKohen Gaon in Haifa die Wiedereinführung des Sanhedrin verkündete. Dies scheint jedoch nur von kurzer Dauer gewesen zu sein, da es in späteren historischen Quellen keine Erwähnung findet.

Eine der zentralen Fragen im Zusammenhang mit der Wiedereinführung des Sanhedrin ist die Legitimität der Smicha, der Ordination eines Rabbiners mit Rechtsbefugnissen.

Nur derjenige, der selbst eine Smicha besitzt, darf eine Smicha verleihen

Aus dem Talmud geht hervor, dass nur derjenige, der selbst eine Smicha besitzt, eine Smicha verleihen darf. Auf diese Weise wird eine ununterbrochene Überlieferung seit Mosche gewährleistet. Bei der heute üblichen rabbinischen Ordination handelt es sich nicht um die Smicha aus der Zeit der Mischna, die einen Rabbiner dazu berechtigte, Geldstrafen zu verhängen. Vielmehr bezeugt ein Lehrer, dass sein Schüler über das nötige Wissen verfügt, um bestimmte halachische Fragen zu beantworten.

Im 16. Jahrhundert wurde versucht, die ursprüngliche Smicha wieder zu etablieren. Dies führte zu einer heftigen Debatte unter den Gelehrten jener Zeit. Im Jahr 1538 initiierte Rabbi Jakov Birav (1474–1546) in Safed die Rückkehr der Smicha. In seinen Responsen legt er die halachischen Grundlagen für die Wiedereinführung dar. Sie basieren auf dem Kommentar des Maimonides, des Rambam (1138–1204), zur Mischna im Traktat Sanhedrin (Kapitel 1, Mischna 3). Der Rambam schreibt darin, dass es seiner Meinung nach möglich sei, einem Gelehrten mit der Zustimmung aller Gelehrten in Israel die Smicha zu verleihen. Er fügt hinzu, dass der Sanhedrin bereits vor der Ankunft des Maschiach wiederhergestellt wird.

Auf dieser Grundlage wurde Rabbi Jakov Birav von 25 Gelehrten aus Safed die Smicha verliehen. Er nutzte dieses neu erworbene Privileg, um vier seiner Schüler, darunter Rabbi Josef Karo (1488–1575), dem Verfasser des halachischen Standardwerks Schulchan Aruch, ebenfalls die Smicha zu verleihen.

Heftige Kritik der Jerusalemer Gelehrten

Der Vorstoß aus Safed stieß jedoch auf heftige Kritik der Jerusalemer Gelehrten. An ihrer Spitze stand Rabbi Levi Ben Chaviv (1480–1541), Oberrabbiner von Jerusalem. Seiner Ansicht nach hatte der Rambam später seine Meinung geändert: In seinem Gesetzeskodex Mischne Tora (Sanhedrin 4:11) bezweifelte er die Möglichkeit, die Smicha durch die Zustimmung der Gelehrten zu erteilen. Außerdem würde die Einführung der Smicha den geltenden Kalender von Hillel ungültig machen, der im Gegensatz zum vorherigen Kalender nicht auf Zeugenaussagen, sondern auf mathematischen Berechnungen beruhte.

Ein heftiger Streit entbrannte zwischen den Gelehrten von Safed und Jerusalem, und um Streitigkeiten zu vermeiden, wurde die Smicha nicht weitergeführt, mit Ausnahme von Rabbi Josef Karo (1488–1575), der seinem Schüler Rabbi Mosche Alschich (1508–1593) ebenfalls die Smicha verlieh.

Mit der Gründung des Staates Israel 1948 wurde die Frage der Wiedereinführung des Sanhedrin erneut aufgeworfen. Rabbi Yehuda Leib Maimon (1875–1962), der Führer der Mizrachi-Bewegung und der erste Religionsminister des Staates Israel, verfasste ein Buch mit dem Titel Wiedereinführung des Sanhedrin in unserem neu gegründeten Staat.

Rav Kook sah im israelischen Rabbinat einen Vorläufer des zukünftigen Sanhedrin.

Sein Mentor HaRav Kook (1865–1935) stand der Idee jedoch schon zuvor skeptisch gegenüber, obwohl er den Zionismus und die Rückkehr des jüdischen Volkes ins Heilige Land für den Beginn der Erlösung hielt. In einem Brief von 1934 an den Oberrabbiner von Tel Aviv bezweifelte Kook, dass es für einen Sanhedrin einen Konsens zwischen den verschiedenen orthodoxen Strömungen im jüdischen Volk und ihren Führern geben würde und dass das rabbinische Gericht allgemein anerkannt würde. Dennoch sah er in der Institution des Rabbinats eine Art Vorläufer und Vorbereitung des Sanhedrin. Sein Nachfolger, Rabbi Herzog, teilte seine Befürchtung und vermied es, eine solche Initiative zu unterstützen.

Seitdem hat es immer wieder kleinere Versuche gegeben, einen Sanhedrin zu gründen, und einige Bewegungen behaupten sogar, ihn bereits etabliert zu haben, aber keiner ist als solcher anerkannt.

Es scheint, dass man auf die Ankunft des Maschiach warten muss, um den Sanhedrin wieder einzuführen. Der Maschiach wird über eine Smicha verfügen, sodass er anderen eine Smicha verleihen kann, und unter seiner Aufsicht wird es zweifellos möglich sein, ein Gremium zu bilden, dessen Autorität nicht infrage gestellt werden kann.

Sicher wird der Sitz des Sanhedrin dann aber nicht in der King George Street zu finden sein – sondern in der Lischkat Hagazit eines wiedererrichteten Tempels.

Der Autor ist Assistenz-Rabbiner der Gemeinde Kahal Adass Jisroel und Dozent am Rabbinerseminar zu Berlin.

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