Am Anfang des Mischna-Traktats Sukka werden wir sehr unvermittelt mit einem Verbot konfrontiert: »Eine Sukka, höher als 20 Ellen, ist untauglich.« Doch fährt der Text fort: »Rabbi Jehuda (bar Ilai) erklärt sie für koscher.«
Diese knappe Aussage allein würde nicht genügen, um die Beweggründe der einander widersprechenden Parteien offenzulegen, nämlich: Aus welchem Grund verbietet die Mehrheit der Weisen eine Sukka, die ein Höhenlimit von zehn Metern überschreitet? Weshalb aber findet Rabbi Jehuda eine solche Laubhütte akzeptabel? All dies erfahren wir in der Mischna nicht.
tradition Doch, G’tt sei Dank, hat die Tradition nicht allein die Mischna überliefert, sondern auch diejenigen halachischen Stücke, die es dort nicht hineingeschafft haben, die sogenannten Baraitot. Diese außerhalb der Mischna überlieferten Lehrmeinungen können äußerst erhellend sein. So wird etwa in unserem Fall überliefert, dass die geschilderte Meinungsverschiedenheit auf einer Begebenheit aus der Zeit des Tempels beruht.
Die zum Judentum übergetretene Königin Helena aus Erbil im heutigen Kurdistan siedelte ins Heilige Land über, wo sie sich in Jerusalem einen prächtigen Palast errichten ließ. Da geschah es, dass sie sich zum Sukkotfest in der Stadt Lod eine entsprechend königliche Sukka baute, die die Höhe von 20 Ellen überschritt.
Als die Weisen jener Zeit Helena besuchten – womöglich mit einem inspizierenden Auge –, hatten sie an ihrer Hütte nichts auszusetzen. Also, argumentiert Rabbi Jehuda im Anschluss an diese Geschichte, könne es nicht sein, dass eine solche Sukka untauglich ist.
Halacha Die anderen Gelehrten aber, die ihm bereits in der Mischna widersprachen, möchten an der gängigen Überlieferung festhalten, wonach eine Sukka nicht höher als ungefähr zehn Meter sein darf. Daher bringen sie eine neue Deutung der Geschichte: Die Weisen, die der ehrwürdigen Königin einen Festbesuch abstatteten, hätten nämlich nur deshalb nichts an ihrer Sukka auszusetzen gehabt, weil Helena als Frau gemäß einem halachischen Prinzip überhaupt nicht dazu verpflichtet sei, in einer ordentlichen Sukka zu sitzen.
Denn unter Umständen, so die Überlegung, müssten Frauen ihren vielfältigen Mutterpflichten nachkommen und sind daher von verschiedenen Geboten ausgenommen, etwa von der Mizwa, fest in einer Sukka zu wohnen. In diesem Sinne habe Helena ihre persönliche Sukka nach ihrem eigenen Geschmack errichtet und nicht nach den striktesten halachischen Vorgaben. Damit habe Rabbi Jehudas Argument zur Anhebung der Sukka-Obergrenze keinen Halt in der Tradition und sei ungültig.
Doch Rabbi Jehuda will sich damit nicht zufrieden geben. Denn bekanntlich, so fährt er fort, habe die Königin sieben Söhne gehabt, die die Feiertage in der großen Sukka ihrer Mutter in Lod verbrachten. Daher sei es ausgeschlossen, dass die Weisen jener Zeit diese Sukka für koscher erklärt hätten, wenn hohe Festhütten nicht erlaubt gewesen wären.
Diskussion Dieses längere Hin und Her der halachischen Diskussion wird in der Folge von der Gemara noch durch weitere Überlieferungen ergänzt, die den kurzen Mischna-Text von verschiedenen Seiten beleuchten und auch den Bogen zu den Versen des Tanach zurückspannen.
In diesem Sinne ist dieser zunächst sehr kurz anmutende Mischna-Paragraf nicht nur ein knappes Gesetzesstatement, sondern ein Fenster, das uns einen tiefen Einblick in die Fülle der Tora gewährt und aufzeigt, wie alle Teile harmonisch zusammenlaufen.