Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Die Kundschafter dachten, das Leben in Israel sei tödlich. Foto: Getty Images

Die Tora berichtet von zwölf Kundschaftern, die von Mosche entsandt wurden, um das versprochene Land Israel zu begutachten und den Israeliten in der Wüste zu berichten, wie ihre neue Heimat beschaffen sei. Zehn der zwölf Kundschafter plädierten danach gegen den Einzug in das Land, und als Strafe verlängerte sich die Reise durch die Wüste von einem Jahr auf 40 Jahre. Die Kundschafter wählten besondere Worte, um das Volk vor der Einwanderung nach Israel zu warnen: »Das Land, das wir durchzogen haben, es auszukundschaften, ist ein Land, das seine Bewohner aufisst« (4. Buch Mose 13,32). Eine spannende Wortwahl, die Raum für viele Interpretationen lässt. Wieso wird das harte Leben im Gelobten Land mit dieser Metaphorik beschrieben?

Der Talmud (Sota 35a) sagt, dass Hiob (hebräisch: Ijow), der Protagonist des gleichnamigen biblischen Buches, zu dem Zeitpunkt starb, als die Kundschafter Israel betraten. Das ganze Land war voller Trauer und Tränen, da Hiob auch unter den ansässigen Kanaanitern ein respektierter Mann war. Gʼtt verlängerte Hiobs Leben absichtlich bis zu diesem Moment und ließ ihn nicht vor der Ankunft der Kundschafter sterben, damit die Bevölkerung durch die nach seinem Tod folgenden Trauerzeremonien abgelenkt sein würde und die Kundschafter in Ruhe durch das Land reisen konnten.

Diese wiederum deuteten die Situation anders: Sie sahen in der Beschäftigung mit dem Tod und der vorherrschenden Trauer ein Zeichen dafür, wie tödlich das Leben in Israel sei. »Die Erde isst die Menschen auf«, im Sinne von: »In diesem Land kann man sich schnell als Leiche unter der Erde wiederfinden.«

Was als Segen gedacht war, wurde als Fluch gedeutet

Aus dieser Episode können wir lernen, dass der Segen Gʼttes nicht immer offensichtlich erscheint. Was als Segen gedacht war, wurde als Fluch gedeutet und führte letztendlich zur Verlängerung des Wüstenweges. Das nicht vorhandene positive Denken stoppte die Israeliten vor dem Einzug in das Land. Am Ende war es die Sünde des Pessimismus, des nicht vorhandenen Vertrauens in Gʼtt, die das Volk vom Land trennte.

Jahrtausende später sagte die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir: »Pessimistisch zu sein, ist ein Privileg, das sich Juden nicht leisten können.«

Rabbi Nachman von Bratzlaw geht auf die Aussage der Kundschafter genauer ein. Laut seiner Deutung ist die Aussage der Kundschafter nicht nur pessimistisch zu deuten, sondern trägt eine tiefe Wahrheit in sich, ansonsten wäre sie nicht als Vers der Tora überliefert worden. In seinem Werk Likutey Moharan geht Rabbi Nachman auf die Essens­metaphorik ein: Wenn eine Kuh Gras frisst, so wird das Gras zu einem Teil der Kuh. Wenn ein Mensch eine Kuh isst, so wird das Fleisch, das zuvor ein Teil der Kuh war, zu einem Teil des Menschen. Modern gesagt: Man ist, was man isst.

Wenn Israel also ein »seine Bevölkerung essendes Land« ist und Israel auch als das Heilige Land bekannt ist, so bedeutet dies im Rückschluss: Wer in Israel wohnt, wird Teil des Landes, und das Land ist heilig, also wird der Bewohner (der »Gegessene«) ebenfalls geheiligt.

Es gibt aber auch bestimmte Dinge, die so schlecht sind, dass sie nach dem Essen nicht zu einem Teil des Körpers, sondern wieder ausgestoßen werden. In diesem Punkt, so erklärt Rabbi Nachman, sei Israel anders als alle anderen Länder der Erde. Etwas, das nicht in das System der Heiligkeit passt, das Böse, kann zwar kurzzeitig auf dem Teller landen, es wird im Nachhinein aber ausgestoßen, so wie jedes essende Geschöpf Unverdauliches oder Giftstoffe ausstößt.

Rabbi Nachman dreht den Spieß also um: Aus der negativen und pessimistischen Aussage der Kundschafter wurde durch seine Lehre eine positive und optimistische Beschreibung von spirituellen Wahrheiten, die von der Liebe zum Land Israel durchdrungen sind.

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024

Lech Lecha

»Und du sollst ein Segen sein«

Die Tora verpflichtet jeden Einzelnen von uns, in der Gesellschaft zu Wachstum und Wohlstand beizutragen

von Yonatan Amrani  08.11.2024

Talmudisches

Planeten

Die Sterne und die Himmelskörper haben Funktionen – das wussten schon unsere Weisen

von Chajm Guski  08.11.2024

Heldentum

Von der Größe, sich nicht zu groß zu machen

Um ein jüdischer Held zu werden, braucht es andere Fähigkeiten, als vielleicht angenommen wird

von Rabbiner Raphael Evers  07.11.2024

Talmudisches

Datteln

Was unsere Weisen über den Verzehr der Frucht lehrten

von Rabbinerin Yael Deusel  01.11.2024

Israel

Kalman Bar ist neuer aschkenasischer Oberrabbiner

Im Vorfeld der Wahl gab es interne Machtkämpfe

 01.11.2024 Aktualisiert

Noach

Die Kraft des Gebets

Hätte sich Noach intensiver an den Ewigen gewandt, wäre es vielleicht nicht zur Sintflut gekommen

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2024