Pessach

Hinaus in die Freiheit

Foto: imago/ecomedia/robert fishman

Die Kinder Israels sind aufgebrochen aus Ägypten, hinaus in die Freiheit. Der Ewige lässt sie einen Umweg nehmen, in Richtung des Schilfmeers.
Was für den Pharao und seine Ratgeber aussehen mag wie ein planloses Umherirren in der Wüste, ist durchaus Absicht. Es wird die Ägypter am Ende in eine tödliche Falle führen.

Wolkensäule Das ist den Israeliten aber nicht bewusst. Sie folgen am Tag der Wolkensäule, und nachts beleuchtet die Feuersäule ihren Weg. Derweil berichtet man dem Pharao, dass das israelitische Volk entflohen sei. Vermutlich hatte er sich das vorher schon gedacht, nur erfassen er und seine Bediensteten erst jetzt die ganze Tragweite dessen, was das Fehlen der billigen Arbeitskräfte bedeutet. Er beschließt, die Sklaven mit Gewalt zurückzuholen.

Hier zeigt sich, wie gut es war, eben nicht die Küstenstraße zu nehmen. Welche Chance hätten die Israeliten dort gehabt, zu Fuß, ausgerüstet lediglich mit Lanzen (Chamuschim), wenn ihnen das schwer bewaffnete ägyptische Heer auf Kriegswagen nachsetzt, noch dazu auf einer mehr oder minder befestigten Straße.

Der Pharao glaubt, leichtes Spiel zu haben, denkt er doch, die Israeliten hätten sich in der Wüste verlaufen.

Todesangst Ein ganz ähnlicher Gedanke kommt auch den Israeliten, als sie vor sich das Wasser des Schilfmeers sehen, während hinter ihnen die Streitmacht Ägyptens aufmarschiert. Sie schreien Mosche an, voller Todesangst, geben ihm die Schuld daran, dass sie wohl bald alle sterben müssten. Hat er sie denn etwa gezwungen, mit ihm in die Freiheit zu kommen?

Vielleicht steckt hinter dem Vorwurf an Mosche auch der tiefere Gedanke: Hättest du uns nichts von der Freiheit erzählt, wären wir gar nicht erst auf die Idee gekommen, nicht mehr Sklaven sein zu wollen.

Mosche kündigt dem Volk an, der Ewige werde für sie streiten, und sie sollen still sein. Dabei gibt er sich zuversichtlicher, als er eigentlich ist.

Im nächsten Vers sagt daher der Ewige fast die gleichen Worte zu Mosche und bedeutet ihm, jetzt sei nicht der Moment, um zu beten und zu Ihm zu flehen, sondern um zu handeln. Er solle seinen Stab über das Wasser ausstrecken und – das Meer spalten?

Nein, Mosche wird das Meer nicht mit seinem Stab teilen, das wird der Ewige tun. Aber Mosche wird dem Volk durch seinen erhobenen Stab letztlich das Signal zum Aufbruch geben, genau in dem Moment, in dem das Wasser zurückweicht.

Was danach geschieht, hat sich so fest in unser aller Gedächtnis eingeprägt, als seien wir beim Auszug aus Ägypten mit dabei gewesen. Die Wolken-Feuer-Säule verlässt ihren Platz an der Spitze der Israeliten und stellt sich hinter sie, zwischen die Kinder Israels und das ägyptische Heer.

Wolkenwand Die Ägypter sehen nur eine undurchdringliche schwarze Wolkenwand, während die Säule auf der anderen Seite den Israeliten die Nacht erhellt. Und der Ewige »führt das Meer hinweg« durch einen starken Ostwind, der das Wasser auseinandertreibt und in der Mitte festen Boden freilegt.

Nun hätten die Israeliten doch einfach hindurchgehen können, während die Wolkensäule die Ägypter aufhielt. Danach hätte das Wasser wieder zurückströmen können, und beide Lager wären durch das Wasser getrennt gewesen. Warum mussten die Ägypter umkommen?

Der Pharao bekommt hier eine letzte Chance. Er hätte jetzt den Rückzug befehlen können; aber er tut es nicht. Als das Wasser mit Macht zurückströmt, vielleicht noch verstärkt durch eine Springflut – es ist kurz nach dem Vollmond –, setzen die Ägypter den Israeliten nach und fahren mit ihren Streitwagen, die noch dazu mit den Rädern im Schlick steckenbleiben, weiter vorwärts, ins Wasser hinein, anstatt zurückzuweichen. Rosse und Reiter ertrinken jämmerlich in den reißenden Fluten.

Der Pharao ist vernichtend geschlagen. Die Israeliten sind endgültig frei, und, was noch entscheidender ist: Der Ewige hat damit die letzte Brücke hinter ihnen abgebrochen. Jetzt gibt es für sie nur noch den Weg nach vorn. Sie jubeln, singen und tanzen vor Freude.

Rabbiner Joseph Hertz (1872–1946) zitiert in seinem Kommentar zum Schirat Hajam, dem Lied am Schilfmeer, den rabbinischen Ausspruch: »Eine Dienstmagd am Schilfmeer hatte ein lebendigeres und eindrucksvolleres G’ttes-Erlebnis als mancher Prophet.«

Ägypter Im Midrasch Rabba vergleicht Rav Abahu – er lebte Ende des dritten und Anfang des vierten Jahrhunderts – das Handeln des Ewigen mit einem Mann, der von einer Horde Räuber überfallen wird, während er seinen Sohn bei sich hat. Er nimmt seinen Sohn bei der einen Hand, und mit der anderen Hand kämpft er gegen die Räuber. Und der Sohn sagt: »Möge es doch den beiden Händen nie an Kraft fehlen, nämlich der einen Hand, die mich hält, und der anderen Hand, die gegen die Angreifer streitet.« Leider vergessen die Israeliten dies schnell wieder angesichts von bitterem Trinkwasser – eine Analogie zum Ertrinken der Ägypter?

Der Ewige lässt sich aber nicht nur mit jenem Vater vergleichen, sondern auch mit einem Arzt. So heißt es auch am Ende unserer Parascha. Darum fordert Er das Halten Seiner Gebote nicht wie ein Gebieter, der dies zur Aufrechterhaltung seiner Autorität tut, wie der Malbim, Meir Löw Weiser (1809–1879), sagt, sondern stets wie ein Arzt im Interesse der Gesundheit seines Patienten.

Die Autorin ist Rabbinerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Mischkan ha-Tfila Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

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