Zehn Maß an Zauberei kamen in die Welt herab, neun davon erhielt Ägypten, und eins der Rest der Welt. So sagt es der Talmud. Zunächst waren wohl die jüdischen Frauen nicht gewohnt, auf Magie zurückzugreifen, doch das änderte sich nach Auffassung unserer Weisen offenbar im Laufe der Zeit, wie Rabbi Jochanan im Namen von Rabbi Schimon bar Jochai in Eruwin 64b konstatiert. Er warnt hier davor, scheinbar herrenloses Brot an sich zu nehmen.
Eigentlich darf man nicht achtlos an Essbarem vorübergehen und es so verderben lassen. Dies lehrt uns neben dem Talmud auch der Schulchan Aruch. Zudem soll man Lebensmittel nicht vergeuden, indem man sie wegwirft. Aber ganze Brote irgendwo am Wegesrand – davor sollte man sich nach Meinung der talmudischen Weisen doch hüten, sie könnten schließlich verhext sein.
Dabei kann man sich fragen, warum der Verzehr eines solchen Brotes ungesund ist. Vielleicht wurde der Finder ja nicht deswegen davon krank, weil es verzaubert, sondern einfach weil es verdorben war.
Die talmudischen Weisen glaubten, die meisten Frauen seien mit Zauberei vertraut
So wenig wie das eine Maß Zauberei, das nicht für Ägypten bestimmt war, allein auf die jüdischen Frauen kam, ebenso wenig betraf es wohl ausschließlich Frauen. So lehrten die Weisen in einer Baraita, dass sich der Toravers »Eine Zauberin sollst du nicht leben lassen« (2. Buch Mose 22,17) auf Männer und Frauen beziehe. Warum aber wird in der Tora die weibliche Form benutzt? Nun, sagten unsere Weisen lapidar, weil eben die meisten Frauen mit Zauberei vertraut sind (Sanhedrin 67a).
Hier stellt sich freilich die Frage, was genau man darunter versteht. Ist tatsächlich bereits das Auftragen von Öl oder von blauem Lidschatten verdächtig, wie in Schabbat 10b und Beitza 16a erwähnt? Auch der Duft von Weihrauch und Gewürzen war suspekt, denn womöglich war das gar kein Parfüm, sondern die Frauen hatten damit Magie betrieben, um die Männer zu verführen. Nicht von ungefähr nennt der Talmud die Ausübung von Zauberei in einem Satz mit sexueller Ausschweifung.
Aber nicht nur attraktive junge Frauen konnten im Ruf stehen, Hexen zu sein. In Sanhedrin 100b heißt es in Bezug auf Ben Sira, dass eine Tochter ihrem Vater zeitlebens Schlaflosigkeit bereite, weil er sich darum sorge, dass sie als junges Mädchen nicht verführt werde, als Erwachsene einen guten Ehemann bekomme, als Ehefrau nicht kinderlos bleibe und schließlich im höheren Alter nicht Zauberei betreibe.
Warum gerade alte Frauen Hexerei betreiben sollten, sei dahingestellt. Vermutete man, dass ihnen etwa langweilig war? Vermutlich erschienen sie doch eher aufgrund ihres Wissens und ihrer langjährigen Erfahrungen verdächtig, beispielsweise im Bereich der Heilkunde.
Nicht alles, was nach Hexerei aussah, war es auch
Nicht immer musste Zauberei Schaden bereiten, und nicht alles, was nach Hexerei aussah, war es auch. Manches war einfach nur Aberglaube, wie in der Begebenheit jenes geschiedenen Mannes, dessen Ex-Frau einen Weinhändler geheiratet hatte (Pessachim 110b). Ausgerechnet in dessen Laden ging der Mann jeden Tag, um Wein zu trinken, obwohl er dachte, seine Ex-Frau wolle ihn verhexen. Er achtete daher genau darauf, dass er keine gerade Anzahl an Bechern trank, nur einmal nicht, denn nach dem 16. Becher Wein vergaß er wohl zu zählen. Anschließend klammerte er sich auf dem Heimweg an eine Palme, die sofort verdorrte und offenbar zusammenbrach – für ihn ein klarer Beweis für Hexerei. Aber vermutlich war er einfach nur betrunken und hatte die dürre Palme mit umgerissen.
In Gittin 45a lesen wir von den Töchtern des Rabbi Nachman, die mit bloßen Händen den Kochtopf umrührten und sich nicht dabei verbrannten. Das hielten manche Zeitgenossen für Zauberei, und man nahm Rabbi Nachmans Töchter gefangen. Dennoch kamen die Frauen am Ende wieder frei – ein Glück, das viele Frauen in späteren Zeiten nicht hatten, die aufgrund des bloßen Verdachts von Hexerei ihr Leben verloren.