Neulich beim Kiddusch

Hellsehers böse Stimmen

Weitsichtig: Der Blick in die Kugel erspart den Weg zum Optiker. Foto: Fotolia

Als mein Vater pensioniert wurde, hat er sich als Buchhalter selbstständig gemacht. Er mietete in einem großen Bauernhof ein Zimmerchen. Das Büro ist ungefähr drei Meter lang und zwei Meter breit. Eine kleine Toilette gibt es auch. Die Landstraße führt direkt neben dem Bauernhof vorbei. Der Bus hält jede zweite Nachmittagsstunde vor dem Restaurant links vom Hof.

Lederetui Mein Vater sucht Firmen, die ihm ihre Buchhaltung überlassen. Ich weiß nicht genau, wie erfolgreich er ist. Auf jeden Fall bekommen Neukunden ein tolles Geschenk von ihm: ein Lederetui mit zwei Kugelschreibern. In seinem Auto hat er jede Menge von diesen Lederetuis, hoffentlich ist er sehr erfolgreich.

Wir reden selten über seine Firma. Ich war auch erst einmal in seinem Büro, ich musste dringend auf Toilette und bat ihn von drinnen um Toilettenpapier. Manchmal erzählt er mir, wie schön ruhig es wäre, da draußen auf dem Bauernhof. Dann denke ich mir, dass er richtig gehandelt hat. Wahrscheinlich erstickt er nicht in Aufträgen, dafür kann er die Kühe beim Melken betrachten.

Aber letzte Woche: Er saß neben mir in der Synagoge und schwärmte von einem Neukunden. Es war ein Schweizer Hellseher, der auf einem Privatsender im Fernsehen Karten legt und fünf Euro die Minute kassiert. Dieser Hellseher beschäftigt ein Dutzend Schweizer Hausfrauen, die ebenfalls in die Zukunft sehen können. Die ungewöhnliche Aktiengesellschaft braucht einen Revisor und Buchhalter und entdeckte im Telefonbuch die Adresse meines Vaters! Natürlich bekam die ganze Mannschaft schöne Lederetuis mit zwei Kugelschreibern. Und noch mehr: Mein Vater lud den Hellseher ein, die alte Synagoge anzugucken, natürlich zu einer Zeit, wo gerade nicht gebetet wird. Das Medium, so erzählte mir mein Vater, stieg dann auf die Bima und breitete die Arme aus. Dann verharrte er.

Gerüchte Nach ein paar Minuten kam er hinunter und erklärte meinem Vater, dass er viele Stimmen gehört hätte. Viele böse Stimmen. In dieser Synagoge – jetzt hörte ich genau zu – hätte es manch Streit und Zwist gegeben. Ich war bestürzt. Normalerweise geraten nichtjüdische Besucher ins Entzücken, wenn sie unsere Synagoge besuchen kommen. Wie viel heuchlerische Schwärmerei dahintersteckt, weiß ich natürlich nicht, aber ich kaufe es den Menschen ab, wenn sie mir versichern, dass sie hier Gott spürten. Und jetzt kommt da ein Hellseher für fünf Euro pro Minute und faselt etwas von bösen Stimmen. Das ist schon allerhand. Allerdings. Beziehungsweise. So ganz von der Hand kann ich das auch nicht weisen. Es wird schon ein bisschen gelästert. Wenn der Vorbeter quakt oder der neue Rabbiner noch nicht Deutsch wie Goethe spricht. Manche böse Gerüchte haben in der Synagoge ihren Ursprung oder ihre Verbreitung. Ich habe schon etliche Hochzeiten in unserem Bethaus erlebt und mithören müssen, wie über Braut und Bräutigam hergezogen wurde. Und erst die Frauen. Wenn die ihre Köpfe zusammenstecken, dann will man nicht Gesprächsinhalt sein.

Vielleicht hat das der Hellseher gemeint. Ich rufe ihn mal an.

Chanukka

Wie sah die Menora wirklich aus?

Eine Rekonstruktion von Rabbiner Dovid Gernetz

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.12.2024

Resilienz

Licht ins Dunkel bringen

Chanukka erinnert uns an die jüdische Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben

von Helene Shani Braun  25.12.2024

»Weihnukka«?

Chanukka und Weihnachten am selben Tag

Ein hohes christliches und ein bekanntes jüdisches Fest werden am 25. Dezember gefeiert

von Leticia Witte  24.12.2024

Rheinland-Pfalz

Volker Beck kritisiert Verträge mit Islam-Verbänden

Zu den Partnern des Bundeslandes gehören jetzt Ditib, Schura und Ahmadiyya Muslim Jamaat

 22.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Wajeschew

Familiensinn

Die Tora lehrt, dass alle im jüdischen Volk füreinander einstehen sollen – so wie Geschwister

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2024

Berlin

Protest gegen geplantes Aus für Drei-Religionen-Kita

Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist demnach ein Lernort geplant, in dem das Zusammenleben der verschiedenen Religionen von frühester Kindheit an gelebt werden soll

 16.12.2024