Als hätte er nicht schon genug Probleme – Wüste, Murren, Manna – bekommt Mosche es am Ende von Paraschat Beha’alotcha auch noch mit einem Konflikt in seiner eigenen Familie zu tun. Mirjam und Aharon, seine Geschwister, kritisieren ihn: »Hat Gott denn nur mit Mosche gesprochen? Hat er denn nicht auch mit uns geredet?«
Was war passiert? Welches Handeln Mosches führte dazu, dass seine Autorität, seiner Berechtigung, das Volk zu führen, so grundsätzlich infrage gestellt wurde?
Die Antwort auf diese Frage führt in den persönlichen, den familiären Bereich: Mirjam und Aharon stellen Mosches Autorität infrage, weil sie nicht damit einverstanden sind, wie Mosche sein Eheleben gestaltet. Sie kritisieren ihn »wegen der kuschitischen Frau, die er genommen hat«.
Nebenfrau Was bedeutet das? Hat Mosche seine Frau Zippora verstoßen und nun eine andere Frau geheiratet? Hat er sich eine Nebenfrau genommen? Ist das Problem, dass es sich um eine kuschitische Frau handelt, eine dunkelhäutige Sudanerin? Oder, dass sie Nichtjüdin ist?
All diese Fragen werden in der jüdischen Tradition diskutiert, und dabei wird leider auch deutlich, dass man nicht immer von Vorurteilen gegenüber Dunkelhäutigen frei war. Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass hier nicht von einer zweiten Frau die Rede ist, sondern, dass mit der »kuschitischen Frau« Zippora gemeint ist, die Frau aus Midian, die Mosche nach seiner Flucht aus Ägypten geheiratet hatte.
Raschi, der berühmte Kommentator aus dem 11. Jahrhundert, diskutiert zwei Möglichkeiten: »Kuschitisch« könne bedeuten, »so schön, wie eine Kuschitin schwarz ist«, oder es handele sich um eine Redeweise, die das Gegenteil meint.
Ein anderer Kommentator, Bechor Schor, meint, Mirjam und Aharon kritisierten Zippora als Nichtjüdin. Er verteidigt Mosche, der auf der Flucht eben keine Jüdin habe heiraten können. Chiskuni, wie Raschi und Bechor Schor aus Frankreich stammend, wird noch deutlicher: Mosche habe sie geheiratet, wie sie war, und dies sei kein Grund, sich jetzt von ihr zu trennen.
Kritik Neben der Frage, ob Mosche die richtige Frau geheiratet habe, ist auch die Deutung möglich, Mirjam und Aharon hätten die Art und Weise kritisiert, wie Mosche seine Frau behandelt: Als Anführer des Volkes hatte Mosche so viel zu tun, dass er seine Frau vernachlässigte.
Raschi versteht den Hinweis von Mirjam und Aharon, auch Empfänger von Botschaften Gottes, also Propheten zu sein wie Mosche, so: »Wir vernachlässigen deshalb nicht unsere ehelichen Pflichten.« Chiskuni meint, Mirjam sei aufgefallen, dass Zippora ungepflegt wirkte und auf Nachfrage sagte: »Als ob dein Bruder das bemerken würde.«
Jenseits der Frage, worum es beim Konflikt der Geschwister nun genau geht, steht die Frage, was uns das angeht. Auch Personen des öffentlichen Lebens haben ein Recht auf Privatsphäre, heißt es heute. Dies war früher, als man viel enger zusammenlebte, nicht weniger zutreffend.
Privatssphäre Der eigentliche Grund, warum es nicht irrelevant ist, wie Mosche und Zippora ihr Familienleben gestalten, liegt darin, dass nach der Tora und der jüdischen Tradition nicht zwischen öffentlicher und privater Sphäre zu trennen ist, wenn nach der Bewertung einer Person gefragt wird. Ob Mosche seine Frau gut behandelt, ist genauso wichtig, wie sein Verhalten gegenüber Pharao bei den Verhandlungen zwischen der ägyptischen Regierung und den streikenden jüdischen Sklaven.
Wie endet unsere Geschichte? Gibt Mosche nach? Werden Mirjam und Aharon zur Strafe vom Erdboden verschluckt? Die Lösung ist politisch sehr weise: Mosches Autorität darf nicht infrage gestellt werden, denn das Volk braucht gerade jetzt eine handlungsstarke Regierung.
So wird Mosche verteidigt, er sei der bescheidenste Mensch überhaupt. Aharon passiert nichts, denn als oberster Priester soll auch er nicht beschädigt werden. Mirjam hingegen als schwächstes Glied dieser Beziehungskette wird von Gott mit einem siebentägigen Aussatz bestraft. Zum Ausgleich aber wartet das ganze Volk samt ihren Brüdern auf sie und unterbricht die Wanderung durch die Wüste, bis Mirjam wieder gesund ist.
Die Autorin ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Paraschat Beha’alotcha
Der Wochenabschnitt beginnt mit den Vorschriften für das Licht im Stiftszelt. Danach bringt er weitere Vorschriften für die Leviten. Außerdem wird ein zweites Pessachfest für diejenigen eingeführt, die es im Monat Nissan nicht feiern konnten. Ferner wird geschildert, wie am Tag eine Wolke und nachts eine Feuersäule die Anwesenheit des Ewigen am Stiftszelt anzeigen. Immer, wenn die Wolke sich vom Stiftszelt entfernte, setzten auch die Kinder Israels ihren Zug fort.
4. Buch Mose 8,1 – 12,16