Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – das ist eine der bekannteren Aussagen, die wir aus der Tora kennen (5. Buch Mose 8,3). Gemeint ist damit, dass es noch andere Dinge im Leben gibt als Essen, die wichtig sind. Die Erfüllung materieller Bedürfnisse allein reicht somit nicht aus, um glücklich zu sein.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum ein gewisser Allan Stewart Konigsberg, besser bekannt unter dem Namen Woody Allen, hier einen entscheidenden Zusatz machte: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – nach einer Weile braucht er einen Drink.
Drink Der berühmte Drink ist aber in jüngster Zeit etwas in Verruf geraten. So sollen bereits kleine Mengen Alkohol, man spricht in einer Studie der Universität Oxford von mindestens 116 Gramm Alkohol pro Woche, bereits einen Zellabbau im Hippocampus hervorrufen – einer Gehirnregion, die wichtig ist für das Lang- und Kurzzeitgedächtnis, für Sinnesempfindungen und für räumliche Orientierung. Auch der Sprachfluss bei Menschen nimmt demnach schon unter geringem Einfluss von Alkohol ab.
Damit wirft diese Studie natürlich auch Fragen auf, wie wir uns mit dem sensiblen Thema Alkohol in unseren Gemeinden und Synagogen verhalten sollen. Ist der Kiddusch, den wir an jedem Schabbat und an jedem Jom Tov zelebrieren, somit für uns gesundheitsschädlich? Wie stehen wir zum Alkoholgenuss, dem Trinken von Wein? In manchen Synagogen wird gerne Wodka zum Kiddusch herumgereicht – doch entspricht das der Verantwortung der Rabbiner ihren Gläubigen gegenüber?
»Schicker« Die Tora verbietet den Alkoholkonsum nicht. Vor- und Nachteile von Alkohol werden in der jüdischen Tradition breit diskutiert. Im Übrigen ist es alles andere als eine Auszeichnung, im Jiddischen als »Schicker« betitelt zu werden – im Deutschen würde man von einem Säufer oder Alkoholiker sprechen.
Wein und berauschende Getränke sind ein faszinierendes Thema, wenn man sie aus Sicht der Tora betrachtet. Einerseits nutzen wir Wein zum Kiddusch am Schabbat und an jüdischen Feiertagen. Segnungen werden zu mehreren Bechern Wein unter der Chuppa (Traubaldachin) rezitiert – ebenso bei einer Beschneidung oder bei einem Pidjon Ha-Ben (Auslösung eines erstgeborenen Sohnes).
Und vergessen wir nicht die vier Becher Wein, die wir beim Pessach-Seder trinken. Auch die Tradition zu Purim, unter dem Einfluss von Alkohol nicht mehr zwischen »Verflucht sei Haman« und »Gesegnet sei Mordechai« unterscheiden zu können, ist eine verbreitete Praxis.
Doch umgekehrt werden wir auch vor der zerstörerischen Natur von Wein und Rausch gewarnt. So erzählt der Talmud folgende Geschichte: Rabba und Rabbi Zeira hatten zusammen ein Purimfest vorbereitetet. Sie berauschten sich so sehr, dass Rabba sich vor Rabbiner Zeira erhob und ihn erschlug.
Am nächsten Tag, als Rabba wieder nüchtern war und erkannte, was er getan hatte, bat Rabba Gott um Gnade, und sie wurde ihm zuteil – Rabbiner Zeira wurde wiederbelebt. Im nächsten Jahr sagte Rabba zu Rabbi Zeira: »Lass den Meister kommen, und lass uns das Purimfest miteinander feiern.« Er sagte ihm: »Wunder geschehen nicht jede Stunde, und ich will diese Erfahrung nicht mehr durchmachen« (Megillah 7b).
Konsequenzen Die Tora erzählt uns einige Geschichten über den negativen Einfluss von Alkohol. So erfahren wir von Noah, der durch übermäßigen Weinkonsum verunglimpft wurde (1. Buch Mose 9, 20–27). Nadab und Abihu, Aarons Söhne, traten in das Tabernakel ein, als sie vermutlich betrunken waren. Die Konsequenz war, dass sie von einem Feuer verzehrt wurden und sofort starben.
Was ist Wein somit für uns – ein heiliges Getränk mit ungeheuren Kräften, das für heilige und besondere Anlässe reserviert ist? Oder ist er ein zerstörerisches Mittel mit einer Macht, die alle Menschen bezwingt, egal welchen Ranges – eine Substanz, die man um jeden Preis vermeiden muss? Offensichtlich hat es etwas von beidem. Alkohol hat ein enormes Potenzial, wenn er zielgerichtet eingesetzt wird, und ein enormes Risiko, wenn er missbraucht wird. Wie wir mit Alkohol umgehen, liegt ganz bei uns.
Die jüdische Tradition kennt den Begriff des Nasirs, des Asketen. Eine Definition finden wir im 4. Buch Mose im sechsten Kapitel: Hat ein Mensch festgestellt, dass er es übertrieben hatte mit dem Weingenuss, so hat er die Möglichkeit, einen Eid abzulegen – und für eine bestimmte Zeit diesem Genuss vor Gott zu entsagen.
Für gewöhnlich wurde ein solcher Eid auf Zeit geleistet. Man verpflichtete sich, zwischen 30 und 100 Tagen abstinent zu leben. Es gab aber auch Nasiräer, die ihr Leben lang auf Berauschendes verzichten mussten. Die bekanntesten von ihnen waren der Richter Schimschon und der Prophet Schmuel.
Suchtproblem Ein bewusster und vorsichtiger Umgang mit Alkohol steht im Vordergrund unserer Tradition. Menschen mit einem Suchtproblem sollten sich daher an Schimschon und Schmuel orientieren, wenn sie nicht ihre Gesundheit und das Wohl ihrer Familien riskieren wollen.
Doch sich komplett von allem zurückzuziehen und zu leben wie ein Nasir, wird nicht grundsätzlich als vorteilhaft angesehen. Schon König Salomon sagte: »Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du nicht vereinsamst!« (Prediger 7,16). Das gilt wohl auch für den Kiddusch.