Die Geschichte von Jakow, Rachel und Lea ist eine der interessantesten und unverständlichsten in der Tora. Jakow glaubt, dass Rachel seine Frau sein soll, und tut viel dafür – doch G’tt kämpft dagegen. Jakow wehrt sich gegen sein Schicksal.
Unser Wochenabschnitt Wajeze erzählt uns, wie Jakow dem Rat seiner Mutter Riwka folgt und nach Charan geht, um dort zu heiraten. Er weiß, dass der Bruder seiner Mutter, Lawan, zwei Töchter hat: Rachel und Lea.
Jakow kommt in die Stadt und geht zum Brunnen. Dort trifft er Rachel, die den Schafen ihres Vaters Wasser gibt. Jakow redet mit ihr und hilft ihr beim Tränken. Daraufhin nimmt Rachel ihn mit nach Hause. Er bleibt bei ihrer Familie, und nach einiger Zeit hält er bei Lawan um Rachels Hand an. Er versichert, dass er bereit ist, sieben Jahre lang dafür bei Lawan zu arbeiten.
Lawan willigt ein, beabsichtigt jedoch von Anfang an, Jakow zu betrügen und ihm statt Rachel deren ältere Schwester Lea zur Frau zu geben.
Rachel findet es heraus und erzählt Jakow davon. Sie einigen sich auf ein Zeichen, das aus drei Wörtern besteht.
In der Hochzeitsnacht gibt Lawan Lea Jakow zur Frau. Und weil Rachel befürchtet, dass es Schande über ihre Schwester brächte, wenn man erfahren würde, dass es Lea und nicht Rachel ist, gibt sie das Zeichen an Lea weiter. So heiratet Jakow Lea und nicht Rachel.
Hochzeit Da Jakow aber unbedingt Rachel heiraten möchte, ist er bereit, weitere sieben Jahre bei Lawan zu arbeiten. So kommt es, dass er eine Woche nach der Hochzeit mit Lea auch Rachel heiratet. Mit ihr lebt er nur 14 Jahre zusammen, während er mit Lea die meiste Zeit seines Lebens verbringen wird. Und schließlich wird er auch mit Lea und nicht mit Rachel begraben.
Jakow glaubte, dass Rachel seine zweite Hälfte sei und er, entgegen seinem Schicksal, um sie kämpfen müsse. Er arbeitete ganze 14 Jahre für diese Frau, aber G’tt schickte ihm eine andere: Lea.
Was können wir aus dieser Geschichte lernen? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir verstehen, warum Jakow Rachel und nicht Lea auswählte.
Rabbiner Schneur Aschkenazi zitiert den Baal Haturim, Rabbiner Jakow ben Ascher (1283–1340). Dieser schreibt: Als Jakow zum Brunnen kam und Rachel erblickte, dachte er, dies sei g’ttliche Vorsehung. Er glaubte, genauso wie Elieser einst am Brunnen eine Frau für Jizchak gefunden hatte, habe er, Jakow, nun am Brunnen Rachel gefunden. Außerdem hatte ihm Riwka, seine Mutter, aufgetragen, dass er am Brunnen seine Ehefrau suchen solle.
Eine andere Erklärung bietet Rabbiner Hezekiah ben Manoah (13. Jahrhundert) in seinem Kommentar Chiskuni an. Der Midrasch erzählt uns: Als Lea und Rachel geboren wurden, teilte Lawan dies seiner Schwester mit, und Riwka antwortete, sie habe zwei Söhne: Esaw und Jakow. Die ältere Tochter, Lea, würde den älteren Sohn Esaw heiraten, und die jüngere sei für den jüngeren Sohn bestimmt.
Der Chiskuni erkärt, dass Jakow deshalb nicht zur älteren Tochter Lea kommen konnte, um sie zu heiraten. Hätte er dies getan, hätte Esaw zu ihm gesagt: Du hast mir schon mein Erstgeburtsrecht und meinen Segen weggenommen, und jetzt nimmst du mir auch noch meine Ehefrau.
Gerechter Es gibt noch eine weitere Antwort auf die Frage, warum Jakow, ein Gerechter, Rachel heiraten wollte.
Im 1. Buch Mose 29,17 steht: »Und Leas Augen waren matt, aber Rachel war schön von Bildung und von Ansehen.« Rachel war auf eine ganz besondere Art schön. Es war echte Schönheit, die auch die innere Schönheit des Menschen zeigt, weil sie Vollkommenheit und Gerechtigkeit widerspiegelt.
Es ist eine Art Heiligkeit, die man in einem gerechten Menschen sieht, auch in seinem Gesicht. Rabbi Menachem Mendel Schneerson, der Lubawitscher Rebbe, erklärt den Vers, der davon berichtet, dass sie »jafat toar« und »jafat mare« (schön von Bildung und von Antlitz) war. Lea war vollkommen sowohl in Bezug auf alle 248 positiven Gebote (Mizwot Ase) – also vollkommen in allen 248 Teilen ihres Körpers – als auch in Bezug auf alle Verbote (Mizwot Lo Taase). Dies verdeutlicht ihre innere Vollkommenheit und Schönheit des Körpers und des Gesichts.
Und was sagt unser Vers über Lea? Ihre Augen waren matt. Was bedeutet das? Raschi (1040–1105) erklärt: Als Lea hörte, dass sie Esaw, der für seine bösen Taten bekannt war, heiraten soll, weinte sie und bat G’tt um einen gerechten Ehemann.
Damit wendete Lea alles zum Guten. Sie kämpfte dafür, besser zu werden, und änderte ihr Schicksal zum Guten. Sie war nicht wie Rachel, die alles bekam. Lea war nicht vollkommen, aber sie arbeitete an ihrer Unvollkommenheit. Sie verbesserte sich, sie brachte die Möglichkeit in die Welt, sich zu verbessern.
Welt Rachel war vollkommen, und Jakow wollte eine vollkommene Frau, die vollkommene Kinder zur Welt bringt. Doch G’tt sagte zu ihm: »Nein, so eine Welt will Ich nicht. Ich brauche eine unvollkommene Welt. Und eine unvollkommene Frau bringt in diese Welt unvollkommene Kinder, die sich verbessern und Teschuwa machen.«
Die Meinungsverschiedenheit zwischen G’tt und Jakow bestand in der Frage, welche Welt errichtet werden soll: eine von Vollkommenen oder eine von Unvollkommenen. G’tt sagte zu Jakow: »Ich suche nicht nach Gerechten, Ich suche nach Ba’alei Tschuwa. Und Ich möchte, dass du Lea zur Frau nimmst. Sie wird unvollkommene Kinder zur Welt bringen, aber sie werden von Lea lernen, sich zu bessern.« Und so geschah es: Leas Kinder machten Teschuwa und verbesserten sich. Diese Kraft haben sie von Lea bekommen.
Lea hatte ein schweres Leben. Sie war am Anfang nicht sehr gefällig, aber am Ende bekam sie alles. Sie brachte die Hälfte der Kinder Jakows zur Welt. Die Kohanim, die Leviten, die Könige, Mosche und Aharon, Isachar und Zvulun sind ihre Nachfahren. Ihr Leben war nicht vollkommen, aber sie hat ihr Leben vervollständigt.
Am Ende bittet Jakow, mit ihr begraben zu werden. Er hat verstanden: Sie brachte ihren Kindern bei, dass das Leben nicht vollkommen ist. Es passieren Fehler, und es gibt Tiefen, doch man hat immer die Möglichkeit, sich zu verbessern, denn dafür hat G’tt die Welt erschaffen.
Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.
Paraschat Wajeze
Der Wochenabschnitt Wajeze erzählt von einem Traum Jakows. Darin sieht er eine Leiter, auf der Engel hinauf- und hinuntersteigen. In diesem Traum segnet der Ewige Jakow. Nachdem er erwacht ist, nennt Jakow den Ort Beit El. Um Rachel zu heiraten, muss er sieben Jahre für ihren Vater Lawan arbeiten. Doch der führt Jakow hinters Licht und gibt ihm Rachels Schwester Lea zur Frau. So muss Jakow weitere sieben Jahre arbeiten, bis er endlich Rachel bekommt und als reicher Mann seinen Schwiegervater Lawan verlässt.
1. Buch Mose 28,10 – 32,2