17. Tamus

G’tt nimmt nie ganz Abstand

An der Kotel in Jerusalem Foto: Flash90

Am 17. Tamus im Jahr 70, vor 1954 Jahren, durchbrachen die Römer die Stadtmauer Jerusalems. Drei Wochen später, am 9. Aw, zerstörten sie den Zweiten Tempel. Wir trauern an diesen Daten heute jedoch um viele weitere schlimme Ereignisse, die ebenfalls zwischen dem 17. Tamus und dem 9. Aw passiert sind. Seit der Zerstörung des Zweiten Tempels sind wir in einem fast 2000 Jahre dauernden Exil über die ganze Welt verstreut. Wir haben viele Verfolgungen und Pogrome erlebt, insbesondere in ebenjenen drei Wochen.

Wir sind ein kleines Volk. Wir werden immer noch verfolgt, sogar in unserem eigenen Land. Israel ist fast ständig in einen Krieg mit einem Feind verwickelt, der kein Erbarmen kennt und geschworen hat, niemals aufzuhören.

Wir sind klein. Das wird sich nie ändern, denn so steht es bereits im Tanach (5. Buch Mose 7, 6–7): »Dein G’tt hat dich aus allen Menschen, die auf der Erde leben, erwählt, dass du Sein eigenes Volk sein sollst. G’tt hat dich nicht geliebt und auserwählt, weil du größer warst als alle Nationen, sondern weil du die geringste aller Nationen warst.«

Liste der Feinde

Die Liste der Feinde ist beeindruckend. Es begann mit dem alten Ägypten, den Philistern, Assyrien, Babylonien, dem Persischen Reich, Griechenland, dem Römischen Reich, den Byzantinern, den Kreuzfahrern, den Spaniern und der Inquisition, Nazi-Deutschland und so weiter.

Alle diese Weltmächte sind verschwunden. Nur das jüdische Volk ist geblieben. Das lag daran, dass wir einen »Freund« in den höchsten Rängen haben. Baruch HaSchem – G’tt sei Dank!

Auch wenn es sich mal stürmisch anfühlt, wir leben jetzt in einer Zeit der Wiederherstellung und Rückkehr. G’tt selbst hat uns dies versprochen: »Siehe, Ich werde sie aus allen Ländern sammeln, wohin Ich sie in meinem Zorn und Ärger und in großer Wut verbannt habe; und Ich werde sie an diesen Ort zurückbringen und sie in Sicherheit wohnen lassen« (Jirmejahu 32,37). Wir erleben derzeit mit eigenen Augen, wie das Versprechen einer Rückkehr in unser gelobtes Land allmählich Gestalt annimmt. Es ist ein fortlaufender Prozess, in dem unsere Zeit ein wichtiger Meilenstein ist: die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit.

Jirmejahu (32,37) sagt voraus, dass G’tt die zerstreuten Verbannten sammeln und sie sicher zurückbringen wird. Bemerkenswert ist jedoch die Erwähnung von G’ttes »Zorn, Ärger und großer Wut«.

Diese Aussage scheint im Widerspruch zur Vision von Wiederherstellung und Versöhnung zu stehen. Warum sollte Jirmejahu den Zorn G’ttes in einem Kontext hervorheben, in dem es um G’ttes liebevolle Wiederherstellung Israels geht?

Segen und Land

Der Schlüssel zu dieser Frage liegt in der Geschichte Israels nach dem Auszug aus Ägypten. Das erste Mal, dass G’ttes Zorn deutlich sichtbar wird, ist nach dem Ereignis mit dem Goldenen Kalb. Dies geschah ebenfalls am 17. Tamus. Kurz nach dem Auszug aus Ägypten und dem Empfang der Tora auf dem Berg Sinai diente das Volk nicht G’tt, sondern einer aus Gold gegossenen Kalbsfigur. Mosche flehte G’tt an, Seinen Zorn abzuwenden, indem Er sich auf Seinen ewigen Bund mit Awraham, Jizchak und Jakow berief, in dem Segen und Land versprochen wurden. G’tt änderte sein Urteil und zeigte, dass Sein Bund mit Israel trotz ihres Ungehorsams bedingungslos und ewig ist.

Indem er G’ttes Wut und Zorn hervorhebt, erinnert Jirmejahu Israel an seine Geschichte des Abfalls vom Glauben und an G’ttes Reaktion darauf. Dies unterstreicht tatsächlich die Bedeutung von G’ttes ewigem Bund, denn selbst in Zeiten der Bestrafung und des Exils nimmt G’tt nicht endgültig von seinem Volk Abstand. Es erinnert Israel daran, dass ihre Rückkehr in das Land nicht auf ihren eigenen Verdiensten beruht, sondern auf der Treue G’ttes zu seinem Bund mit ihren Vorfahren.

Daher stellt Jirmejahus Erwähnung des Zorns G’ttes keinen Tadel für das Versprechen der Wiederherstellung dar, sondern stärkt vielmehr das Verständnis von G’ttes unveränderlicher Verpflichtung gegenüber Israel, ungeachtet ihrer Sünden. Diese Einsicht war von entscheidender Bedeutung zu einer Zeit, als einige glaubten, dass G’tt Seinen Bund mit Israel gebrochen hatte, als sie ins Exil vertrieben wurden.

Wir sind jetzt »alive and kicking« in unserem Heiligen Land. Wir trauern um alles, was uns in den letzten 2000 Jahren verfolgt hat, aber blicken hoffnungsvoll in die Zukunft.

Ethik

Eigenständig handeln

Unsere Verstorbenen können ein Vorbild sein, an dem wir uns orientieren. Doch Entscheidungen müssen wir selbst treffen – und verantworten

von Rabbinerin Yael Deusel  10.01.2025

Talmudisches

Greise und Gelehrte

Was unsere Weisen über das Alter lehrten

von Yizhak Ahren  10.01.2025

Zauberwürfel

Knobeln am Ruhetag?

Der beliebte Rubikʼs Cube ist 50 Jahre alt geworden – und hat sogar rabbinische Debatten ausgelöst

von Rabbiner Dovid Gernetz  09.01.2025

Geschichte

Das Mysterium des 9. Tewet

Im Monat nach Chanukka gab es ursprünglich mehr als nur einen Trauertag. Seine Herkunft ist bis heute ungeklärt

von Rabbiner Avraham Radbil  09.01.2025

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert

Chanukka

Sich ihres Lichtes bedienen

Atheisten sind schließlich auch nur Juden. Ein erleuchtender Essay von Alexander Estis über das Chanukka eines Säkularen

von Alexander Estis  31.12.2024