Ein äußerst beliebtes Gesprächsthema in vielen Gemeinden ist das Gehalt des Rabbiners. Bemerkenswerterweise ist es auch eine der wenigen Fragen, in denen sich die meisten Mitglieder einig sind: Der Rabbiner verdient eindeutig zu viel.
Natürlich ist dieses Thema absolut nicht neu, denn sogar über Mosche Rabbejnu wurden schlimme Gerüchte in Umlauf gebracht: über seinen Besitz und seine angeblich habgierigen Absichten. Seitdem ist es offenbar bei vielen zur Tradition geworden, sich über solche Fragen auszutauschen. Und so kann auch heute jeder Rabbiner froh sein, wenigstens auf diese Weise etwas zum Frieden unter den Gemeindemitgliedern beitragen zu können, denn über andere Themen gibt es meistens keine Einigung.
Doch auch prinzipiell ist die Fragestellung nicht ganz falsch. Denn tatsächlich steht in Pirkej Awot 4,7: »Betrachte die Tora nicht als eine Krone, mit der du dich groß machen kannst, und nicht als einen Spaten, mit dem du graben kannst. So sagte Hillel: Wer sich der Krone bedient, schwindet dahin. Lerne von hier: Wer von den Worten der Tora irgendeinen (irdischen) Nutzen zu ziehen strebt, der nimmt sein Leben aus der Welt.«
Gehalt Daraus erkennt man, dass man die Tora und ihre Gebote weder zur Selbstpromotion (Krone) noch zum Geldverdienen (Spaten) benutzen darf. Per definitionem beschäftigt sich ein Rabbiner die meiste Zeit seines Tages mit den Geboten, idealerweise auch mit dem Lernen beziehungsweise Lehren der Tora. Wie kann er dafür also ein Gehalt beziehen? Auch Maimonides, der Rambam, spricht sich in seinem Kommentar zur Mischna eindeutig dagegen aus, dass ein Rabbi oder Toralehrer Geld für seine Tätigkeit bekommt.
In der Tat bezogen Rabbiner bis zum 14. Jahrhundert kein festes Gehalt für ihre Tätigkeit von ihrer Gemeinde. Die meisten übten einen zusätzlichen Beruf aus, so wie der Rambam, der Arzt war. Viele Gelehrte handelten mit unterschiedlichen Waren, so wie Raschi mit Wein. Einige weltberühmte rabbinische Persönlichkeiten konnte man öfters an der damals berühmten Leipziger Messe treffen.
Frau Bei manchen Rabbinern war es die Frau oder der Schwiegervater, die die Familie ernährten, damit der Rabbiner dem Torastudium mehr Zeit widmen konnte. Rabbiner waren von jeglichen Steuern und Gemeindeabgaben befreit – und in vielen Gemeinden war es so, dass der Rabbiner ein Monopol auf bestimmte sehr gängige Produkte wie Kerzen oder Salz hatte, sodass kein anderer aus der Gemeinde diese verkaufen durfte.
Doch als Folge der zunehmenden Schwierigkeiten in der Diaspora, wie der Kreuzzüge und der Pest, die vor allem das aschkenasische Judentum getroffen haben, fingen österreichische und böhmische Rabbiner an, ein festes Gehalt von ihren Gemeinden zu beziehen. Dieser Brauch hat sich sehr schnell im aschkenasischen Raum verbreitet. Im 15. Jahrhundert war es schon die Norm, dass ein aschkenasischer Rabbiner ein Gehalt erhält.
Im sefardischen Raum dauerte diese Entwicklung viel länger, bestimmt nicht zuletzt wegen der scharfen Worte des Rambam. So fingen die sefardischen Rabbiner erst im 20. Jahrhundert an, ihre Gehälter von der Gemeinde zu beziehen.
Alija-Spende In manchen Gemeinden in den USA war es üblich, dass jeder, der eine Alija zur Tora erhielt, dem Rabbiner ein Geschenk machte. So schreibt Rabbiner Berel Wein, dass er sich erinnern kann, dass jeder, der am Schabbat zur Tora aufgerufen wurde, öffentlich verkündete, wie viel er an den Rabbi zahlen wollte. In der Regel waren es zwischen 50 Cent und einigen Dollars.
In vielen Gemeinden bekommt ein Rabbiner Geld dafür, dass er für andere vor Pessach Chametz verkauft. Bei vielen ist es auch Brauch, den Rabbiner für Hochzeiten, Beerdigungen, Bar- oder Batmizwa et cetera zu bezahlen. Verschiedene Gemeinden haben verschiedene Regelungen, ob diese Leistungen nun im Gehalt inbegriffen sind, oder ob die Mitglieder selbst dafür aufkommen sollen.
Halacha Doch wie ist es halachisch zu begründen, dass der Rabbiner für seine mit der Tora verbundenen Dienste eine Vergütung bekommen soll? Die Antwort auf diese Frage gibt uns der Maharal in seinem Kommentar zur oben genannten Mischna in Pirkej Awot. Er schreibt, dass Rabbiner nicht für ihre Worte der Tora oder religiöse Dienste Geld bekommen, sondern für die aufgewandte Zeit, in der sie theoretisch woanders ihr Geld hätten verdienen können. Also ist das Geld, das der Rabbiner bekommt, nicht wie ein festes Gehalt, sondern eine Art Kompensation für die von dem Rabbiner im Dienste der Gemeinde verbrachte Zeit anzusehen.
Der Alltag eines Rabbiners hat sich während der letzten Jahrhunderte und selbst während der vergangenen Jahrzehnte stark verändert. Früher bedeutete das Rabbineramt im Gegensatz zu heute keine Vollbeschäftigung. Es sind viele Aufgaben dazugekommen, denen sich frühere Rabbiner gar nicht stellen mussten.
Man muss auch ehrlich zugeben, dass die Rabbiner von heute gar nicht die Kapazitäten früherer Rabbiner besitzen. Das alles macht es einem modernen Rabbiner kaum möglich, eine Nebenbeschäftigung anzunehmen, die seine meist vielköpfige Familie koscher ernähren würde – zusätzlich zu seinen Diensten für die Gemeinde. Und egal, wie »heilig« die Rabbiner sind, auch sie und ihre Familien müssen essen. In Pirkej Awot steht: »Ejn Kemach – ejn Tora«, kein Mehl – keine Tora.
So schreibt der Maharal, dass das Gehalt eines Rabbiners einerseits den Respekt der Gemeinde gegenüber der Tora zeigen und demzufolge nicht zu niedrig sein soll. Doch andererseits soll es den Respekt des Rabbiners gegenüber öffentlichen Mitteln demonstrieren, also darf der Rabbiner kein zu hohes Gehalt verlangen. Wie immer gilt es auch hier, die richtige Balance zu finden.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Osnabrück.